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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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schießen, oder sie kommen in fliegender Hast angestürmt, und man bestreicht einen Abhang oder sperrt eine bestimmte Straße oder zielt auf die Fenster; oder man sieht sie in der Ferne eine Straße entlangmarschieren. Nur noch bei Eisenbahnüberfällen kriegt man sie so deutlich vors Visier. Nur dann sehen sie genauso aus wie jetzt, und mit vier solchen Dingern kann man sie auseinanderjagen. Durch das Visier, auf diese Entfernung hin, sehen sie doppelt so groß aus wie gewöhnliche Menschen. Du, dachte er, auf das Korn visierend, das nun fest in der Kimme saß, und die Spitze des Korns saß mitten auf der Brust des Patrouillenführers, ein wenig rechts von dem scharlachroten Emblem, das sich hell in der Morgensonne von der braunen Pelerine abhob; du, dachte er, und jetzt dachte er spanisch, und er preßte die Finger nach vorn gegen den Abzugsbügel, um nicht durch eine unbedachte Bewegung den raschen, prasselnden, wirbelnden Todeshagel zu entfesseln. Du, dachte er noch einmal, du, so jung, und nun sollst du sterben. Und du, dachte er, und du und du. Aber es soll nicht sein. Es soll nicht sein!
 Er merkte, wie Agustín neben ihm zu husten anfing, den Husten mühsam unterdrückte und würgend hinunterschluckte. Und als er dann durch die Lücke zwischen den Zweigen an dem geölten Blau des Laufs entlangblickte, die Finger immer noch nach vorne gegen den Abzugsbügel gepreßt, sah er, wie der Patrouillenführer sein Pferd wendete und auf Pablos Fährte zeigte, die in den Wald entschwand. Alle vier trabten davon, und Agustín sagte leise: »¡ Cabrónes!«
 Robert Jordan schaute sich nach den Felsblöcken um, wo Anselmo den Baum hingeworfen hatte.
 Rafael, der Zigeuner, kam jetzt zwischen den Felsen herangeschlendert, das Gewehr über dem Rücken, ein Paar leinene Satteltaschen schleppend. Robert Jordan machte ihm ein Zeichen, und der Zigeuner duckte sich schnell hinter einen Felsen.
 »Wir hätten sie alle vier abschießen können«, sagte Agustín. Er war noch ganz verschwitzt.
 »Ja«, flüsterte Robert Jordan. »Aber wer weiß, was dann passiert wäre?«
 Gerade in diesem Augenblick hörte er wieder ein Steinchen herabkollern und sah sich schnell um. Aber sowohl der Zigeuner wie Anselmo waren verschwunden. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und blickte dann zu Primitivo hinauf, der in scheinbar endloser Folge ruckartig sein Gewehr hob und senkte. Pablo hat einen Vorsprung von 45 Minuten, dachte Robert Jordan, und dann hörte er den Lärm einer herantrabenden Kavallerieabteilung. »No te apures«, flüsterte er Agustín zu. »Sei nicht beunruhigt. Sie werden genauso vorüberreiten wie die anderen.«
 Jetzt wurden sie am Rand des Waldes sichtbar, in zwei Reihen trabten sie dahin, zwanzig Berittene, genauso bewaffnet und uniformiert wie die anderen, mit baumelnden Säbeln, die Karabiner im Sattelfutteral, und dann verschwanden sie, genauso wie die anderen, talwärts in den Wald.
  »¿Tu ves?« sagte Robert zu Agustín. »Siehst du?«
 »Das waren aber viele«, sagte Agustín.
 »Und mit ihnen hätten wir es zu tun bekommen, wenn wir die anderen niedergemacht hätten«, sagte Robert Jordan ganz leise. Sein Herzschlag hatte sich nun beruhigt, und sein Hemd war auf der Brust ganz naß von dem schmelzenden Schnee. Er hatte ein hohles Gefühl in der Brust.
 Hell schien die Sonne auf den Schnee, der schnell dahinschmolz. Robert Jordan sah, wie er rund um die Baumstämme zurückwich, und dicht vor dem MG, vor seinen Augen, war die Oberfläche des Schnees wie ein zartes Netzwerk, denn die Sonnenwärme fiel von oben herab, und die Erdwärme hauchte von unten den Schnee an, der auf ihr lag.
 Robert Jordan blickte zu Primitivo hinauf, sah ihn beide Hände mit nach unten gekehrter Handfläche übereinanderlegen und signalisieren: »Nichts.«
 Anselmos Kopf schob sich hinter einem Felsblock hervor, und Robert Jordan winkte ihn heran. Der Alte huschte von Fels zu Fels, kam dann herangekrochen und legte sich flach neben das MG. »Viele«, sagte er. »Viele!«
 »Ich brauche die Bäumchen nicht mehr«, sagte Robert Jordan zu ihm. »Weitere Forstveredlungen sind überflüssig.«
 Anselmo und Agustín grinsten.
 »Das Zeug hat sich recht gut bewährt, und es wäre gefährlich, jetzt zwei neue Bäumchen hinzupflanzen. Die Burschen werden wieder hier vorbeikommen, und vielleicht sind sie nicht ganz dumm.«
 Er empfand das Bedürfnis zu reden, und das war bei ihm ein Zeichen dafür, daß er eine recht gefährliche

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