Wem die Stunde schlaegt
Jetzt; und weiter und immer nur, bitte, das Jetzt, immer das Jetzt, von jetzt an immer nur das eine Jetzt, ein einziges, kein anderes ist das einzige Jetzt, eines, jetzt entschwindend, jetzt emporsteigend, jetzt dahinschwebend, jetzt dich verlassend, jetzt entrollend, jetzt in höchsten Höhen schwebend, jetzt fort, jetzt weg, weit weg, ganz weit weg; eines und eines ist eines, ist eines, ist eines, ist eines, ist immer noch eines, ist immer noch eins, ist eins im Gleiten, ist eins im Sanften, ist eins im Sehnen, ist eins in der Güte, ist eins im Frohsinn, ist eins, das man streichelt, ist eins auf der Erde nun, die Ellbogen gegen die Fichtenzweige gestemmt, die abgeschnittenen Fichtenzweige, die das Lager dieser Nacht waren, mit dem Geruch der Äste und der Nacht, endgültig auf der Erde nun und im Morgen des kommenden Tages. Dann sagte er, denn das andere war nur in seinem Kopf gewesen, und er hatte nichts gesagt: »Oh, Maria, ich liebe dich, und ich danke dir.«
Maria sagte: »Sprich nicht. Es ist besser, wenn wir nicht sprechen.«
»Ich muß es dir sagen, denn es ist etwas Großes.«
»Nein.«
»Mein Kaninchen –«
Aber sie drückte ihn fest an sich und wandte den Kopf ab, und er fragte leise: »Schmerzen, mein Kaninchen?«
»Nein«, sagte sie. »Es ist nur, daß auch ich dankbar bin, weil ich noch einmal in La Gloria war.«
Dann lagen sie still, Seite an Seite, ihre Fußgelenke, ihre Hüften, ihre Schenkel und Schultern berührten einander, Robert Jordan hatte nun wieder die Uhr vor Augen, und Maria sagte: »Wir haben viel Glück gehabt.«
»Ja«, sagte er, »wir sind die reinen Glückspilze.«
»Zum Schlafen haben wir keine Zeit mehr?«
»Nein«, sagte er, »jetzt geht es bald los.«
»Wenn wir aufstehen müssen, wollen wir gehen und etwas essen.«
»Gut.« »Du! Du machst dir doch nicht wegen irgend etwas Sorgen?«
»Nein.«
»Wirklich nicht?«
»Nein, jetzt nicht mehr.«
»Aber früher hast du dir Sorgen gemacht?«
»Eine Zeitlang.«
»Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Nein«, sagte er. »Du hast mir genug geholfen.«
»Das? Das habe ich für dich getan.«
»Für uns beide«, sagte er. »Darin ist keiner allein. Komm, mein Kaninchen, ziehen wir uns an.«
Aber seine Gedanken, die seine besten Gefährten waren, dachten: La Gloria. Sie sagte la Gloria. Das ist nicht glory, Ruhm, oder la gloire, von der die Franzosen sprechen und schreiben. La Gloria findest du im Cante Hondo und in den Saetas, bei El Greco und natürlich bei San Juan de la Cruz und den anderen. Ich bin kein Mystiker, aber das abzuleugnen wäre ebenso dumm, wie wenn man bestreiten wollte, daß es ein Telefon gibt oder daß die Erde sich um die Sonne dreht, oder daß es noch andere Planeten außer dem unseren gibt.
Wie wenig wissen wir von dem, was wir wissen könnten. Ich möchte gern noch lange leben, statt heute zu sterben, weil ich in diesen vier Tagen sehr viel über das Leben erfahren habe, mehr, glaube ich, als in all den vergangenen Jahren. Ich möchte gern ein alter Mann werden und alles gründlich wissen, ob man immer weiterlernt oder ob es für jeden Menschen ein gewisses Quantum gibt, das er begreifen kann? Ich glaube, über so vieles Bescheid zu wissen, wovon ich gar nichts weiß. Wenn ich nur mehr Zeit hätte!
»Du hast mich vieles gelehrt, guapa «, sagte er in seiner Muttersprache.
»Was sagst du?« »Ich habe vieles von dir gelernt.«
»¡Qué va!« sagte sie. »Du bist gebildet, nicht ich.«
Gebildet, dachte er. Ich verfüge nur über die ersten Anfänge einer wirklichen Bildung. Die ersten kleinsten Anfänge. Wenn ich heute sterbe, ist das eigentlich schade, denn jetzt weiß ich doch immerhin einiges. Vielleicht hast du es nur deshalb gelernt, weil die Kürze der Zeit dich überempfindlich gemacht hat? Aber so was gibt es ja gar nicht – »Kürze der Zeit!« Du solltest so klug sein, das zu wissen. Ich bin mein Leben lang in diesen Bergen gewesen. Anselmo ist mein ältester Freund. Ich kenne ihn besser als Charles, besser als Chub, besser als Guy, besser als Mike, und die kenne ich gut. Agustín mit seinem schändlichen Maul ist mein Bruder, und ich hatte nie einen Bruder. Maria ist meine Liebste und meine Frau. Ich habe nie eine Liebste gehabt. Ich habe nie eine Frau gehabt. Sie ist auch meine Schwester, und ich habe nie eine Schwester gehabt, und meine Tochter, und ich werde nie eine Tochter haben. Es ist so schön, ich verlasse es nicht gern. Er wurde eben mit dem
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