Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
Vom Netzwerk:
Depesche an Golz, mit einer Schnur zusammengebunden und mit einem Wachssiegel versehen, in dem die Metallbuchstaben S. I. M. abgedrückt waren, welche sich oben an dem Holzgriff des Gummistempels befanden.
 »So was habe ich schon mal gesehen«, sagte der Kommandant des Postens und gab Andrés das Stück Seide zurück. »Ich weiß, das habt ihr alle. Aber sein Besitz beweist nichts ohne das da.« Er nahm den salvoconducto zur Hand und las ihn noch einmal durch. »Wo bist du geboren?«
 »In Villaconejos«, sagte Andrés.
 »Und was wächst dort?«
 »Melonen«, sagte Andrés. »Wie alle Welt weiß.«
 »Wen kennst du dort?«
 »Warum? Bist du auch von dort?«
 »Nein. Aber ich bin schon mal dort gewesen. Ich bin aus Aranjuez.« »Frag mich nach jemand.«
 »Beschreibe mir den José Rincon.«
 »Der die Bodega hat?«
 »Natürlich.«
 »Er hat einen kahlgeschorenen Kopf und einen dicken Bauch und schielt.«
 »Dann ist dieses Papier gültig«, sagte der Mann und gab es ihm zurück. »Aber was machst du denn drüben bei den Faschisten?«
 »Unser Vater hatte sich vor der Bewegung in Villacastín niedergelassen«, sagte Andrés. »In der Ebene hinter den Bergen. Und dort hat uns die Bewegung überrascht. Seither habe ich in Pablos Trupp mitgekämpft. Aber ich habe große Eile, Mann, die Depesche ist eilig.«
 »Wie steht's im Land der Faschisten?« fragte der Kommandant. Er hatte es nicht eilig.
 »Heute hatten wir viel tomate «, sagte Andrés stolz. »Heute hat es den ganzen Tag sehr gestaubt. Heute haben sie Sordos Trupp erledigt.«
 »Und wer ist Sordo?« fragte der andere mißbilligend.
 »Der Führer eines der besten Trupps in den Bergen.«
 »Ihr solltet lieber zur Republik kommen und in die Armee eintreten«, sagte der Offizier. »Dieser dumme Guerilla-Unsinn macht sich viel zu breit. Ihr solltet lieber zu uns kommen und euch unserer freiheitlichen Disziplin unterwerfen. Wenn wir es dann für nötig halten, Guerillas loszuschicken, können wir sie losschicken, je nach Bedarf.«
 Andrés besaß eine fast übermenschliche Geduld. Das Durchschreiten des Stacheldrahtverhaus hatte ihn keinen Augenblick lang aus der Ruhe gebracht. Dieses ganze Verhör hatte ihn keinen Augenblick lang nervös gemacht. Er fand es durchaus normal, daß dieser Offizier nicht begriff, wer sie waren und was sie machten. Und daß er so idiotisches Zeug daherredete, war ja nur zu erwarten. Und es war auch zu erwarten gewesen, daß alles so langsam gehen würde. Aber jetzt wollte er endlich weiterkommen. »Hör mal, compadre!« sagte er. »Es ist sehr gut möglich, daß du recht hast. Aber ich habe den Auftrag, diese Depesche dem kommandierenden General der 35. Division zu übergeben, die bei Tagesanbruch zum Angriff vorgeht, und es ist bereits spät in der Nacht, und ich muß weiter.«
 »Was für ein Angriff? Was weißt du von einem Angriff?«
 »Ich weiß gar nichts. Aber ich muß nach Navacerrada und dann weiter. Willst du mich jetzt zu deinem Vorgesetzten schicken, damit er mich in einem Auto weiterbefördert? Schick einen deiner Leute mit, der für mich bürgt, damit es keine weiteren Verzögerungen gibt.«
 »Mich macht das alles sehr mißtrauisch«, sagte der Offizier. »Vielleicht wäre es doch besser gewesen, dich abzuschießen, als du an den Stacheldraht herankamst.«
 »Du hast meine Papiere gesehen, Genosse, und ich habe dir meinen Auftrag erklärt«, sagte Andrés geduldig.
 »Papiere kann man fälschen«, sagte der Offizier. »Jeder Faschist kann sich so einen Auftrag ausdenken. Ich werde selber mit dir zu dem Kommandanten gehen.«
 »Gut«, sagte Andrés. »Komm nur mit. Aber rasch!«
 »Du, Sánchez! Du übernimmst an meiner Stelle das Kommando«, sagte der Offizier. »Du kennst deine Pflichten genauso gut wie ich. Ich bringe diesen sogenannten Genossen zum Kommandanten.«
 Sie gingen durch den niedrigen Graben hinter der Hügelkuppe, und in der Dunkelheit roch Andrés den Unrat, den die Verteidiger des Hügels in dem Farnkraut auf dem Hang abgelagert hatten. Ihm gefielen diese Leute nicht, sie waren wie gefährliche Kinder, schmutzig, verkommen, undiszipliniert, freundlich, zärtlich, dumm und unwissend, aber stets gefährlich, weil sie Waffen hatten. Er, Andrés, hatte keine politischen Ansichten, er war bloß ein Anhänger der Republik. Oft hatte er diese Leute reden hören, und er fand, daß das, was sie sagten, sich oft recht schön und erfreulich anhörte, aber er konnte sie trotzdem nicht

Weitere Kostenlose Bücher