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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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leiden. Das ist nicht Freiheit, daß man den eigenen Dreck nicht vergräbt, dachte er. Kein Tier ist freier als die Katze, aber sie verscharrt ihren Dreck. Die Katze ist der beste Anarchist. Solange sie das nicht von der Katze gelernt haben, habe ich keinen Respekt vor ihnen. Der Offizier vor ihm blieb plötzlich stehen.
 »Du hast doch deinen carabina«, sagte er.
 »Ja«, sagte Andrés. »Wie denn nicht?«
 »Gib ihn mir!« sagte der Offizier. »Du könntest mich von hinten erschießen.«
 »Wieso?« fragte Andrés. »Warum sollte ich dich von hinten erschießen?«
 »Man kann nie wissen«, sagte der Offizier. »Ich traue keinem Menschen. Gib mir den Karabiner!«
 Andrés nahm den Karabiner von der Schulter.
 »Wenn es dir Spaß macht, ihn zu tragen!« sagte er.
 »Es ist besser so«, sagte der Offizier. »Es ist sicherer so.« Sie gingen im Dunkeln den Hügel hinunter.
 
XXXVII
 
 Nun lag Robert Jordan neben dem Mädchen und sah auf seiner Armbanduhr die Zeit vergehen. Sie verging langsam, fast unmerklich, denn es war eine kleine Uhr, und er konnte den kleinen Zeiger nicht sehen. Aber während er den Minutenzeiger beobachtete, merkte er, daß es ihm, wenn er sich sehr anstrengte, beinahe möglich war, seine Bewegung zu verfolgen. Des Mädchens Kopf ruhte unter seinem Kinn, und wenn er den Kopf bewegte, um auf die Uhr zu schauen, fühlte er das kurzgestutzte Haar an seiner Wange, es war so weich, aber auch so lebendig und seidig gewellt wie ein Marderfell, das sich unter der streichelnden Hand aufrichtet, wenn du die Falle öffnest, den Marder heraushebst, ihn in die Höhe hältst und seinen Pelz glättest. Es würgte ihn in der Kehle, wenn seine Wange an Marias Haar entlangstrich, und ein hohles Schmerzgefühl lief von seinem Hals durch den ganzen Körper, wie er sie so in seinen Armen hielt; sein Kopf sank herab, er beugte den Kopf dicht zu der Armbanduhr nieder, dicht zu dem Zifferblatt, über dessen linke Hälfte das lanzenförmige leuchtende Stäbchen langsam emporstieg. Er sah es jetzt deutlich vorwärtsrücken, langsam und stetig, und er preßte Maria fester an sich, um den Lauf des Zeigers zu bremsen. Er wollte sie nicht aufwecken, aber er brachte es auch nicht über sich, sie in diesen letzten Minuten in Ruhe zu lassen, er küßte sie hinters Ohr und ließ seine Lippen an ihrem Hals entlanggleiten, fühlte an seinen Lippen die glatte Haut und die weiche Berührung ihres Haars. Er sah den Zeiger der Uhr wandern, und er drückte Maria noch fester an sich, strich mit der Zungenspitze über ihre Wange bis zum Ohrläppchen und über die lieblichen Windungen bis zu dem süßen, festen Rand, und seine Zunge zitterte. Er fühlte, wie dieses Zittern seine lechzende Sehnsucht durchzuckte, und jetzt sah er den Uhrzeiger im spitzen Winkel zu dem höchsten Punkt hinaufsteigen, der den Ablauf der Stunde bezeichnet. Während sie noch schlief, bog er ihren Kopf zu sich heran und legte seine Lippen auf die ihren. Sie berührten nur ganz leicht den schlafstarren Mund, er schwenkte leise den Kopf hin und her, er fühlte, wie seine Lippen sanft die Lippen des Mädchens streiften. Er kehrte sich zu ihr, er fühlte, wie ein Schauder durch den langen, leichten, reizenden Körper lief, und dann seufzte sie im Schlaf, und dann preßte sie ihn, immer noch schlafend, an sich, und dann schlief sie nicht mehr, ihre Lippen lagen fest und hart an den seinen, sich festsaugend, und er sagte: »Aber die Schmerzen.« Und sie sagte: »Nein, es tut nicht mehr weh.«
 »Mein Kaninchen.«
 »Nein, sprich nicht!«
 »Mein Kaninchen.«
 »Sprich nicht! Sprich nicht!«
 Dann waren sie beisammen, so daß sie, während der Zeiger der Uhr, unsichtbar nun, immer weiterrückte, wußten, daß dem einen nichts widerfahren könne, was nicht auch dem andern widerführe, daß mehr nicht geschehen könne als dieses, daß dies alles war und das Immer, das Gewesene und das Heute und das Künftige. Was ihnen nicht vergönnt war, sie hatten es nun. Sie hatten das Jetzt und das Zuvor und das Immerdar und das Jetzt, das Jetzt, das Jetzt. Oh, jetzt, jetzt, jetzt, das einzige Jetzt, und vor allem jetzt, und es gibt kein anderes Jetzt neben dir, mein Jetzt, und Jetzt ist dein Prophet. Jetzt und immer nur jetzt. Komm, du mein Jetzt, denn es ist kein Jetzt außer dem Jetzt. Ja, jetzt. Jetzt, bitte jetzt, nur jetzt, nichts anderes, nur dieses Jetzt, und wo bist du, und wo bin ich, und wo ist der andere, und nicht das Warum, niemals das Warum, nur dieses

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