Wem die Stunde schlaegt
Ausschau.
»Du fährst doch nicht ungern weg?«
»Nein«, hatte er erwidert, und es war auch keine Lüge gewesen.
Vorher war's nicht wahr gewesen, aber in dem Augenblick, da er's sagte, war es wahr, und erst jetzt wieder, bei dieser neuerlichen Trennung, fühlte er sich so jung wie damals kurz vor Abfahrt des Zuges. Sehr jung kam er sich vor und sehr unbeholfen, und er benahm sich so unbeholfen wie ein Schuljunge, der einem kleinen Mädchen adieu sagt, unter dem Vordach des Hauses, und nicht weiß, ob er dem Mädchen einen Kuß geben soll oder nicht. Dann wurde ihm plötzlich klar, daß nicht der Abschied ihn so verlegen machte, sondern die Begegnung, der er entgegenging. Das Abschiednehmen war nur ein kleiner Teil der Verlegenheit, die das Kommende ihm bereitete.
Jetzt ist es wieder da, sagte er sich. Aber es gibt wohl niemanden, der nicht das Gefühl hat, daß er dafür zu jung sei. Er wollte es nicht aussprechen. Vorwärts, sagte er zu sich selber. Vorwärts! Es ist noch zu früh für die zweite Kindheit.
»Leb wohl, guapa «, sagte er. »Leb wohl, Kaninchen!«
»Leb wohl, mein Roberto«, sagte sie, und erging zu Anselmo und Agustín hinüber und sagte: »¡ Vámonos!«
Anselmo hängte sich den schweren Rucksack um. Agustín, der sich schon in der Höhle vollgepackt hatte, lehnte an einem Baum, und der Lauf des Schnellfeuergewehrs ragte über die Packen empor, die er auf dem Buckel schleppte.
»Gut«, sagte er. »¡ Vámonos!«
Zu dritt gingen sie den Hügel hinunter.
»¡Buena suerte, Don Roberto!« sagte Fernando, als die drei im Gänsemarsch zwischen den Bäumen an ihm vorbeikamen. Fernando hockte etwas abseits an einem Baum, aber sein Ton war sehr würdevoll.
» Buena suerte auch dir, Fernando!« sagte Robert Jordan.
»In allem, was du tust!« sagte Agustín. »Danke, Don Roberto«, sagte Fernando, ohne sich durch Agustín beirren zu lassen.
»Der ist ein richtiges Phänomen, Inglés «, flüsterte Agustín.
»Das glaube ich«, sagte Robert Jordan. »Kann ich dir helfen? Du bist bepackt wie ein Gaul.«
»Es ist schon gut so«, sagte Agustín. »Aber, Mann, ich bin froh, daß es losgeht.«
»Sprich leise!« sagte Anselmo. »Von jetzt an heißt es wenig und leise sprechen.«
Sie gingen vorsichtig bergab, Anselmo hatte die Führung, dann kam Agustín und zuletzt Robert Jordan, er trat vorsichtig auf, um nicht auszurutschen, er fühlte die dürren Fichtennadeln unter seinen hanfbesohlten Schuhen, stieß mit dem einen Fuß gegen eine Baumwurzel und streckte die Hand aus und fühlte das kalte Metall des Gewehrlaufs und die zusammengeklappten Beine des Dreigestells, stapfte dann seitlings bergab, seine Schuhe rutschten und zerfurchten den Waldboden, wieder streckte er die linke Hand aus und fühlte die rauhe Rinde eines Baumstamms, und als er sich dagegenstemmte, hatte er eine glatte Fläche unter der Hand, und seine Handfläche war nachher ganz klebrig von dem Harz des angeschalmten Stammes, und so stiegen sie den steilen, bewaldeten Hang hinab bis zu der Stelle oberhalb der Brücke, von wo aus Robert Jordan und Anselmo gleich am ersten Tag das Terrain erkundet hatten.
Nun hatte Anselmo hinter einer großen Kiefer haltgemacht, er packte Robert Jordan am Handgelenk und flüsterte so leise, daß Jordan ihn kaum verstehen konnte: »Schau! Ein Feuer brennt in dem Kohlenbecken.«
In der Tiefe schimmerte ein Lichtpünktchen, und Robert Jordan wußte, dort fängt die Brücke an.
»Hier sind wir gewesen«, sagte Anselmo. Er nahm Robert Jordans Hand und führte sie zu einer kleinen, frischen Kerbe, die tief unten in einem Baumstamm eingeschnitten war. »Ich habe dieses Zeichen gemacht, während du dich umgeschaut hast. Dort rechts ist die Stelle, wo du die máquina hinstellen wolltest.« »Dort wollen wir sie auch hinstellen.«
»Gut.«
Sie legten ihr Gepäck hinter die Baumstämme, und die beiden folgten Anselmo zu der flachen Stelle, wo eine Menge junger Kiefern stand.
»Hier ist es«, sagte Anselmo. »Genau hier.«
»Von hier aus«, flüsterte Robert Jordan, hinter den schmalen Bäumchen kauernd, Agustín zu, »wirst du bei Tageslicht einen kleinen Teil der Straße und den Anfang der Brücke sehen. Du wirst ferner die ganze Brücke sehen und auch noch einen kleinen Teil der Straße an dem anderen Ende, bevor sie um den Felsen biegt.«
Agustín schwieg.
»Du bleibst hier liegen, während wir die Sprengung vorbereiten, und feuerst auf alles, was die Straße herauf-und
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