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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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am Tisch hatte die Depesche in die Tasche gesteckt.
 »Stellt euch hier hin!« sagte Marty, ohne aufzublicken.
 »Hör mal, Genosse Marty!« legte Gómez los. Der Anisschnaps steigerte seine Wut. » Einmal hat uns heute nacht die Unwissenheit der Anarchisten aufgehalten. Dann die Faulheit eines bürokratischen Faschisten. Und jetzt das übertriebene Mißtrauen eines Kommunisten!« »Halt den Mund!« sagte Marty, ohne aufzublicken. »Wir sind nicht in einer Versammlung.«
 »Genosse Marty, die Sache ist äußerst dringend«, sagte Gómez. »Und äußerst wichtig.«
 Der Korporal und der Soldat, die mitgekommen waren, interessierten sich sehr lebhaft für das, was hier vorging, als handle es sich um ein Theaterstück, das sie schon oft gesehen hatten, dessen ausgezeichnete Pointen aber sie immer wieder goutierten.
 » Alles ist dringend«, sagte Marty. » Alles ist wichtig.« Jetzt blickte er zu ihnen auf, den Bleistift zwischen den Fingern. »Woher wußtet ihr, daß Golz hier ist? Versteht ihr nicht, wie merkwürdig das ist, daß ihr euch kurz vor dem Beginn eines Angriffs nach einem bestimmten General erkundigt? Wie konntet ihr wissen, daß dieser General hier überhaupt zu finden sein wird?«
 »Sag es ihm, tú !«sagte Gómez zu Andrés.
 »Genosse General«, begann Andrés, und André Marty unterließ es, die fehlerhafte Rangbezeichnung zu berichtigen, »das Papier habe ich drüben auf der anderen Seite bekommen –«
 »Auf der anderen Seite?« sagte Marty. »Ja, ich habe gehört, daß du von der faschistischen Front kommst.«
 »Ich habe es, Genosse General, von einem Inglés namens Roberto erhalten, der als Dynamiter wegen der Brücke zu uns gekommen ist. Verstehst du?«
 »Erzähl deine Geschichte weiter«, sagte Marty zu Andrés; er sagte Geschichte, als wollte er Lüge sagen, Erfindung oder Schwindelei.
 »Nun, Genosse General, der Inglés hat mir befohlen, das Papier so schnell wie möglich zu General Golz zu bringen. General Golz bereitet einen Angriff vor, und wir verlangen weiter nichts, als daß die Depesche ihm möglichst schnell zugestellt wird, wenn es dem Genossen General recht ist.« Marty schüttelte abermals den Kopf. Er blickte Andrés an, aber er sah ihn nicht.
 Golz, dachte er mit einem Gemisch von Entsetzen und Jubel, wie etwa ein Mensch, dem man erzählt, sein schlimmster Konkurrent sei bei einem besonders scheußlichen Autounglück ums Leben gekommen, oder es habe einer, den man haßt, aber an dessen Ehrlichkeit man nie gezweifelt hat, eine Unterschlagung begangen. Daß Golz auch zu ihnen gehört! Daß Golz so offensichtlich mit den Faschisten in Verbindung steht! Golz, den er seit fast zwanzig Jahren kennt! Golz, der damals in Sibirien mit Lukacz den Goldzug erbeutet hat. Golz, der gegen Koltschak und in Polen gekämpft hat. Im Kaukasus. In China. Und seit dem 1. Oktober auch hier. Aber er hat Tuchatschewsky nahe gestanden. Und wem sonst noch? Diesem Karkow natürlich! Und Lukacz. Aber alle Ungarn sind Intriganten. Er haßt Gall. Golz haßt Gall. Vergiß das nicht! Halt das fest! Golz hat Gall seit jeher gehaßt. Aber er begünstigt Putz. Vergiß das nicht! Und Duval ist sein Stabschef. Mal nachschauen, wie es sich damit verhält. Du hast ihn sagen hören, daß Copic ein Dummkopf ist. Das ist definitiv. Das steht fest. Und jetzt diese Depesche aus dem faschistischen Gebiet. Nur wenn man die morschen Äste beseitigt, kann der Baum gesund bleiben und weiterwachsen. Das Morsche muß man bloßlegen, denn es gehört ausgerottet. Aber Golz! Daß Golz auch ein Verräter ist! Ich weiß ja, daß man niemandem trauen darf. Niemandem. Nie. Nicht einmal der eigenen Frau. Nicht einmal dem eigenen Bruder. Nicht einmal dem ältesten Freund. Niemandem. Nie.
 »Führt sie ab!« sagte er zu den Leuten von der Wachmannschaft. »Bewacht sie sorgfältig!« Der Korporal sah den Soldaten an. Das ist ja sehr still verlaufen, wenn man bedenkt, wie er sich sonst aufzuführen pflegt.
 »Genosse Marty!« sagte Gómez. »Seien Sie nicht unvernünftig. Hören Sie doch auf einen Genossen und loyalen Offizier! Die Depesche muß abgeliefert werden. Dieser Genosse hat sie durch die faschistischen Linien durchgeschmuggelt, um sie dem Genossen General Golz zu überbringen.« »Führt sie ab!« sagte Marty ganz freundlich zu dem Korporal. Falls es nötig sein wird, sie zu liquidieren, tun sie ihm leid; es sind schließlich Menschen. Aber viel mehr noch bedrückt ihn die Tragödie Golz. Daß es gerade Golz sein

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