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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Sie mal, Genosse Marty, haben Sie etwas von einer Depesche gehört, die einer unserer Partisanentrupps aus der Gegend von Segovia an Golz geschickt hat? Es arbeitet dort ein amerikanischer Genosse namens Jordan, von dem wir eigentlich hätten hören müssen. Es ist berichtet worden, daß hinter den faschistischen Linien Kämpfe stattgefunden haben. Er müßte eigentlich einen Bericht an Golz geschickt haben?« »Ein Amerikaner?« fragte Marty. Andrés hatte gesagt ein Inglés. Das war es also. Er hatte sich geirrt. Warum hatten sich denn diese Dummköpfe überhaupt an ihn gewandt? »Ja.«
 Karkow sah ihn voller Verachtung an. »Ein politisch ziemlich unreifer junger Amerikaner, der aber mit den Spaniern umzugehen versteht und gute Partisanenarbeit geleistet hat. Geben Sie mir die Depesche, Genosse Marty! Sie ist schon reichlich verspätet.«
 »Welche Depesche?« fragte Marty. Das war sehr dumm von ihm, und er wußte es auch. Aber er konnte es nicht gleich zugeben, daß er sich geirrt habe. Er wollte auf jeden Fall den peinlichen Augenblick hinausschieben. Er wollte sich nicht demütigen lassen.
 » Und den Passierschein«, sagte Karkow zwischen seinen schlechten Zähnen.
 André Marty griff in die Tasche und legte die Depesche auf den Tisch. Er sah Karkow fest in die Augen. Gut. Er hat sich geirrt, und das ist nun nicht mehr zu ändern, aber er wird sich nicht demütigen lassen.
 » Und den Passierschein«, sagte Karkow leise.
 Marty legte ihn neben die Depesche.
 »Genosse Korporal!« rief Karkow auf spanisch.
 Der Korporal öffnete die Tür und trat ein. Er warf einen raschen Blick auf André Marty, der ihn anstarrte wie ein alter Wildeber, den die Hunde gestellt haben. Weder Furcht noch Beschämung zeigten sich in Martys Miene. Er war bloß wütend, und er war nur vorübergehend in die Enge getrieben. Er wußte, daß diese Hunde ihn nicht festhalten konnten. »Nimm die Papiere, gib sie den beiden Genossen im Wachtzimmer und zeige ihnen den Weg zu General Golz' Hauptquartier!« sagte Karkow. »Es hat schon viel zu lange gedauert.«
 Der Korporal ging hinaus. Marty sah ihm nach und sah dann Karkow an.
 »Towarisch Marty«, sagte Karkow, »ich werde schon noch herausfinden, ob Sie wirklich so unantastbar sind.«
 Marty sah ihn an und schwieg.
 »Und fangen Sie jetzt nicht etwa an, den Korporal zu schikanieren«, fuhr Karkow fort. »Er war es nicht. Ich habe die beiden im Wachtzimmer getroffen, und sie haben mich angesprochen.« (Das war eine Lüge.) »Ich hoffe sehr, daß alle Menschen, die mir begegnen, sich sofort an mich wenden.« (Das war nicht gelogen, obgleich es der Korporal gewesen war, der sich an ihn gewandt hatte.) Aber Karkow glaubte an das Gute, weil er selber ein zugänglicher Mensch war und die wohltuende Möglichkeit hatte, in gewissen Augenblicken einzugreifen. Das war das einzige, worüber er niemals Witze machte.
 »Wissen Sie, wenn ich in der UdSSR bin, schreibt man an mich in die Redaktion der Prawda, wenn irgendwo in einem Städtchen in Aserbeidschan eine Ungerechtigkeit passiert ist. Wußten Sie das? Die Leute sagen, Karkow wird uns helfen.«
 André Marty sah ihn an, in seinen Zügen lag nichts als Wut und Widerwille. Er konnte jetzt an nichts anderes denken als an den Schlag, den Karkow ihm versetzt hatte. Gut, Karkow, magst du noch so mächtig sein, sieh dich vor!
 »Hier handelt es sich um etwas anderes«, fuhr Karkow fort, »aber das Prinzip ist das gleiche. Ich werde feststellen, inwieweit Sie unantastbar sind, Genosse Marty. Ich möchte gern wissen, ob es nicht möglich wäre, den Namen dieser Traktorenfabrik zu ändern.« André Marty schaute weg, sein Blick wanderte zu der Karte zurück.
 »Was schreibt der junge Jordan?« fragte ihn Karkow.
 »Ich habe es nicht gelesen«, sagte Marty. » Et maintenant fiche moi la paix, Genosse Karkow.«
 »Gut«, sagte Karkow. »Ich überlasse Sie Ihren militärischen Bemühungen.«
 Er verließ den Raum und ging in das Wachtzimmer. Andrés und Gómez waren schon weg. Er stand einen Augenblick da, betrachtete die Straße und blickte zu den Berggipfeln, die jetzt im ersten Grau der Dämmerung sichtbar wurden. Jetzt heißt es sich beeilen dort oben, dachte er. Jetzt geht es bald los.
 Wieder fuhren Andrés und Gómez mit ihrem Motorrad die Straße entlang, und es wurde langsam hell. Andrés, sich wieder an den Vordersitz festklammernd, während das Motorrad Kurve um Kurve nahm in dem dünnen grauen Nebel, der über der Paßhöhe

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