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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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muß, dachte er. Er wird sofort mit dieser faschistischen Depesche zu Warlow gehen. Nein, es ist besser, er bringt sie Golz und beobachtet ihn, wenn er sie in Empfang nimmt. Ja, das wird er tun. Wie kann er denn Warlows sicher sein, wenn Golz zu ihnen gehört? Nein. Hier heißt es sehr vorsichtig sein...
 Andrés wandte sich zu Gómez. »Du meinst, er wird die Depesche nicht weiterschicken?« fragte er ungläubig.
 »Du siehst doch!« sagte Gómez.
  »Me cago en su puta madre!« sagte Andrés. »Está loco.«
 »Ja«, sagte Gómez. »Er ist verrückt... Du bist verrückt! Hörst du! Verrückt!« schrie er Marty an, der sich jetzt wieder mit seinem blau-roten Bleistift über die Landkarte beugte. »Hörst du mich, du verrückter Bluthund?«
 »Führt sie ab!« sagte Marty zu dem Korporal. »Ihre schwere Schuld hat sie um den Verstand gebracht.«
 Das war eine Phrase, die der Korporal wiedererkannte. Er hatte sie schon öfters gehört.
 »Du verrückter Bluthund!« schrie Gómez.
  »¡Hijo de la gran putal!« sagte Andrés. »¡ Loco!«
 Die Stupidität dieses Menschen machte ihn wütend. Wenn er verrückt ist, soll man ihn in ein Irrenhaus sperren. Man soll ihm die Depesche aus der Tasche nehmen. Hol der Teufel diese Verrückten! Aus seiner gewohnten Gelassenheit und friedlichen Laune brauste ein dumpfer spanischer Zorn empor; ein Weilchen noch, und dieser Zorn wird ihn um jede Besinnung bringen. Marty betrachtete die Karte und schüttelte betrübt den Kopf, während die Soldaten Gómez und Andrés abführten. Es hatte den Wachtposten Spaß gemacht, die Beschimpfungen zu hören, die ihm an den Kopf flogen, aber im großen und ganzen waren sie von dem Schauspiel enttäuscht gewesen. Sie hatten schon viel amüsantere Szenen erlebt. André Marty nahm es den Leuten nicht übel, daß sie ihn beschimpften. Er war schon so oft beschimpft worden. Und immer taten sie ihm leid, weil es doch schließlich Menschen waren. Das sagte er sich stets aufs neue, und das war einer der letzten anständigen Gedanken, die ihm geblieben waren, die er noch sein eigen nennen durfte.
 Nun saß er da, die Schnurrbartspitzen und die Blicke auf die Landkarte gerichtet, auf die Karte, aus der er nie so ganz richtig schlau wurde, auf das braune Netzwerk der Konturen, die zart und konzentrisch verliefen wie ein Spinngewebe. An den Konturen konnte er die Hügel und die Täler unterscheiden, doch es war ihm nie ganz klar, warum es gerade diese Höhe und warum es gerade dieses Tal sein mußte. Aber im Generalstab, wo er dank dem System der politischen Kommissariate als politischer Chef der Brigaden das Recht besaß, sich in alles einzumischen, pflegte er mit dem Finger auf einen bestimmten numerierten, mit dünnen braunen Strichen umzirkelten Fleck zu zeigen (zwischen den grünen Flecken der Wälder und dem Linienwerk der Straßen, die den niemals zufälligen Windungen eines Flusses folgen) und zu sagen: »Da! Das ist der schwache Punkt.«
 Gall und Copic, Politiker und ehrgeizige Burschen, geben ihm recht, und eine Weile später werden Männer, die nie die Landkarte gesehen haben, aber denen man, bevor sie aufbrachen, die Nummer des Hügels genannt und die aufgeworfene Erde der feindlichen Schanzen gezeigt hat, den Hang hinaufklettern, um dort zu sterben, oder gar nicht erst hinaufkommen, weil die Maschinengewehre, die in den Olivenhainen postiert sind, sie zurückjagen. An einer anderen Front vielleicht werden sie den Hügel ganz leicht erklettern und dann nicht besser daran sein als zuvor. Aber wenn Marty in Golz' Stab seinen Finger auf die Landkarte setzte, strafften sich die Kinnmuskeln in dem bleichen Gesicht des narbenschädligen Generals, und er dachte: Ich sollte dich eigentlich übern Haufen schießen, André Marty, bevor ich dir erlaube, deinen verrotteten Finger auf meine Spezialkarte zu setzen. Der Teufel soll dich holen, daß du so viele Menschen umgebracht hast, weil du dich in Dinge einmischst, von denen du nichts verstehst. Verflucht der Tag, da man Traktorenfabriken und Dörfer und Kollektivgüter nach dir benannt hat, so daß du ein Symbol geworden bist, das ich nicht antasten kann! Geh anderswohin, verdächtigen, ermahnen, intervenieren, denunzieren und schlachten, aber laß meinen Stab in Frieden! Aber statt das auszusprechen lehnte er sich bloß in seinem Stuhl zurück, möglichst weit weg von der massigen Gestalt, dem zudringlichen Zeigefinger, den wässerig grauen Augen, dem grauweißen Schnurrbart und dem üblen

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