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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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hören konnte.
 
XLIII
 
 Robert Jordan lag hinter einem Kieferstamm am Hügelhang über der Straße und der Brücke und sah den Tag grauen. Er liebte diese Tageszeit, die frühe Morgenstunde, und jetzt sah er sie herandämmern, fühlte in seinem Innern das Dämmergrau, als ob er selber ein Teil wäre des langsamen Hellwerdens, das dem Sonnenaufgang vorangeht, da die festen Gegenstände dunkel werden und der freie Raum hell und die Lichter, die nachts geleuchtet haben, gelblich werden und dann verblassen, wenn der Tag anbricht. Die Bäume vor ihm traten hart und klar hervor, mit kräftigen braunen Stämmen, und über die Straße zog ein schimmernder Nebelstreif. Der Tau hatte ihn durchnäßt, der Waldboden war weich, unter den Ellbogen fühlte er das Federn der abgefallenen braunen Nadeln. In der Tiefe sah er, durch den leichten Nebel, der aus dem Flußbett aufstieg, die Brücke, starr und stählern über der Schlucht, und an beiden Enden die hölzernen Wächterhäuschen. Aber das Geflecht der Brücke sah immer noch ganz zart und spinnwebenfein aus in dem Dunst, der über dem Wasser hing.
 Jetzt sah er in dem einen Häuschen den Wachtposten stehen, ein Rücken mit dem Filzponcho, ein Kopf mit einem Stahlhelm, wie er sich über die durchlöcherte Benzinkanne beugte und sich die Hände wärmte. Er hörte den Fluß rauschen tief unten zwischen den Felsen und sah eine dünne, feine Rauchsäule aus dem Häuschen aufsteigen.
 Er blickte auf die Uhr und dachte: Ob Andrés es geschafft hat, ob er Golz erreicht hat? Wenn wir sprengen müssen, möchte ich gerne ganz langsam atmen und wieder ein wenig den Uhrzeiger bremsen und es richtig spüren! Glaubst du, er hat es geschafft? Andrés? Und wenn er's geschafft hat, werden sie den Angriff abblasen? Falls sie noch Zeit haben, ihn abzublasen. ¡Qué va! Zerbrich dir nicht den Kopf! Entweder so oder so. Es gibt nur eine Alternative, und in einer Weile wirst du Bescheid wissen. Angenommen, der Angriff gelingt. Golz war der Meinung, er konnte gelingen. Es sei immerhin möglich. Wenn unsere Tanks die Straße herunterkommen, unsere Infanterie von rechts kommt und über La Granja hinaus vorstößt und wir die linke Flanke des Gebirges umfassen! Warum denkst du nie darüber nach, wie man den Kampf gewinnen könnte? Du hast dich jetzt schon so lange auf die Defensive beschränken müssen, daß du gar nicht mehr darüber nachdenkst. Bestimmt! Aber da hatten sie noch nicht ihre Geschütze aufmarschieren lassen, da waren noch nicht die vielen Flugzeuge aufgetaucht. Sei nicht so naiv! Immerhin darfst du eines nicht vergessen: Solange wir die Faschisten hier festhalten, binden wir ihnen die Hände. Solange sie uns nicht erledigt haben, können sie sich auf kein anderes Land stürzen, und mit uns werden sie schwer fertig werden. Wenn die Franzosen uns nur einigermaßen helfen, wenn sie bloß die Grenze nicht sperren, und wenn wir aus Amerika Flugzeuge bekommen – dann könnten sie niemals mit uns fertig werden. Nie – wenn wir nur überhaupt was kriegen! Dieses Volk wird ewig weiterkämpfen, wenn es gute Waffen hat. Nein, du darfst jetzt nicht mit einem Sieg rechnen. Das wird vielleicht noch einige Jahre dauern. Hier handelt es sich nur darum, feindliche Kräfte zu binden. Du darfst dir keine Illusionen machen. Gesetzt den Fall, wir brechen durch! Das ist unser erster massiver Angriff. Verliere nicht den Sinn für Proportionen! Wie aber, wenn der Durchbruch gelingt? Beruhige dich, sagte er sich. Denke daran, was sie alles hinaufgeschafft haben. Du hast getan, was du konntest. Wir sollten eigentlich tragbare Kurzwellensender mithaben. Das wird mit der Zeit kommen. Aber noch haben wir sie nicht. Sei du jetzt auf dem Posten und tu deine Pflicht!
 Das ist heute nur einer von den vielen Tagen, die noch kommen werden. Aber das, was du heute tust, kann für die kommenden Tage entscheidend sein. So ist es das ganze Jahr hindurch gewesen. Oft, oft ist es so gewesen. Der ganze Krieg ist so! Ja, so ist dieser ganze Krieg! Du, sagte er zu sich, mach dich nicht schon in aller Frühe so wichtig! Schau, was da geschieht! Er sah die beiden Männer in Pelerine und Stahlhelm um die Straßenbiegung kommen und auf die Brücke zumarschieren, mit umgehängtem Gewehr. Der eine machte am entfernteren Ende der Brücke halt und verschwand in dem Wachthäuschen. Der andere überquerte die Brücke mit langsamen, schweren Schritten. Mitten auf der Brücke blieb er stehen und spuckte in die Schlucht hinunter, ging

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