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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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gelehnt. Er blickte über den grünen Abhang hinunter, sah das graue Pferd dort liegen, wo Agustín es erschossen hatte, blickte weiter hinunter bis zu der Straße und hinüber zu dem bewaldeten Hügelland. Dann wanderten seine Blicke zu der Brücke, und er beobachtete die Vorgänge auf der Brücke und auf der Straße. Er sah die Lastautos in langer Kette auf dem unteren Teil der Straße bis hinter die Biegung sich stauen. Das Grau der Autos mischte sich in das Grün der Bäume. Dann blickte er nach der anderen Seite, zu der Höhe hinauf, über die die Straße herabkam. Jetzt werden sie bald erscheinen, dachte er. Pilar wird sich um sie kümmern. Sie kann nirgends besser aufgehoben sein. Das weißt du ja. Pablo muß einen guten Plan haben, sonst würde er es gar nicht erst versuchen. Um Pablo brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Es hat keinen Zweck, an Maria zu denken. Versuche doch, selber an all das zu glauben, was du ihr erzählt hast! Das ist das beste. Und wer behauptet denn, daß es nicht wahr sei? Du gewiß nicht. Du behauptest es nicht, ebensowenig wie du behaupten würdest, es sei alles nicht geschehen, was geschehen ist. Bleib bei deiner Überzeugung. Nur nicht zynisch werden! Die Zeit ist zu kurz, und du hast Maria eben erst weggeschickt. Jeder tut, was er kann. Für dich selber kannst du nichts mehr tun, aber vielleicht kannst du etwas für andere tun. Ja, vier Tage hat unser Glück gedauert. Keine vier Tage. Ich bin am Nachmittag angekommen, und heute wird es nicht mehr Mittag werden. Das sind nicht ganz drei Tage und drei Nächte. Rechne genau! dachte er. Ganz genau!
 Jetzt wirst du dich hinlegen, dachte er. Besser, du richtest dich ein, damit du was leisten kannst, statt wie ein Landstreicher unter dem Baum zu hocken. Du hast viel Glück gehabt. Es gibt schlimmere Dinge auf der Welt. Das muß jeder einmal durchmachen, irgendeinmal. Du hast doch keine Angst davor, jetzt, da du weißt, daß es nicht anders geht, oder wie? Nein, dachte er, wirklich nicht. Aber ein Glück, daß der Nerv zerstört ist! Ich habe nicht einmal das Gefühl, daß unterhalb der Bruchstelle überhaupt noch was da ist. Er betastete den linken Unterschenkel, und es war, als gehörte er gar nicht zu seinem Körper.
 Wieder blickte er den Hang hinunter und dachte: Ich gehe ungern weg, und ich hoffe, ich habe ein bißchen was ausgerichtet. Ich habe mir alle Mühe gegeben, soweit es in meinen Kräften stand. Steht, meinst du. Gut, steht.
 Ich habe jetzt ein volles Jahr lang für meine Überzeugung gekämpft. Wenn wir hier siegen, werden wir überall siegen. Die Welt ist so schön und wert, daß man um sie kämpft, und ich verlasse sie nur ungern. Und du kannst von Glück sagen, daß du ein so gutes Leben gehabt hast. Du hast ein ebenso gutes Leben gehabt wie dein Großvater, nur daß es kürzer ist. Diese letzten Tage, sie haben dein Leben so schön gemacht, wie es nur immer sein konnte. Du brauchst dich nicht zu beklagen, da du so viel Glück gehabt hast. Aber wenn ich doch auf irgendeine Weise das, was ich gelernt habe, weitergeben könnte! Lieber Gott, gerade jetzt, zum Schluß, habe ich noch so vieles gelernt. Ich würde mich gerne mit Karkow unterhalten. In Madrid. Über die Hügel weg und in die Ebene hinunter, aus den grauen Felsen, von den Kiefern, dem Heidekraut und dem Ginster in die Ebene hinunter, und dort, jenseits des braunschimmernden Hochplateaus, siehst du Madrid sich erheben, weiß und schön. Das ist kein Schwindel, das ist ebenso wahr wie Pilars Geschichte von den alten Weibern, die unten am Schlachthaus das Blut der geschlachteten Tiere trinken. Es gibt nicht nur eines, das wirklich da ist. Alles istda. So wie die Flugzeuge schön anzusehen sind, ob es die unseren sind oder die des Feindes. Was zum Teufel! dachte er. Sachte, sachte jetzt! Leg dich jetzt hin, solange noch Zeit ist. Hör mal, noch eins! Erinnerst du dich? Pilar und die Hand? Glaubst du an dieses Scheißzeug? Nein, sagte er. Trotz allem, was passiert ist? Nein, ich glaube nicht daran. Sie hat sich heute früh sehr nett benommen, bevor die Sache losging. Sie hatte Angst, ich würde vielleicht daran glauben. Nein, ich glaube nicht daran. Aber sie glaubt daran. Diese Menschen sehen etwas. Oder sie fühlen etwas. Oder sie wittern etwas. Wie ein Jagdhund. Wie ist das mit den übersinnlichen Wahrnehmungen? Mist! sagte er. Sie wollte mir nicht adieu sagen, dachte er, weil sie wußte, daß dann Maria sich nicht würde losreißen können. Diese Pilar!

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