Wem die Stunde schlaegt
Dreh dich jetzt um, Robert Jordan. Aber er zögerte noch.
Dann fiel ihm ein, daß er das kleine Fläschchen in der Hüfttasche hatte, und er dachte: Ich werde einen tüchtigen Schluck von dem Riesentöter nehmen, und dann werde ich's versuchen. Aber als er nach der Flasche tastete, war sie weg. Jetzt fühlte er sich um so einsamer, da er wußte, daß ihm nicht einmal das mehr geblieben war. Ich glaube, damit habe ich gerechnet, sagte er.
Glaubst du, Pablo hat sie dir weggenommen? Sei nicht dumm! Du hast sie wohl an der Brücke verloren. Vorwärts jetzt, Jordan. Rumgedreht!
Dann packte er mit beiden Händen sein linkes Bein und zerrte es stramm gegen den Fuß hin, während er sich neben dem Baum, an dem er gelehnt hatte, auf die Erde legte. Dann, flach ausgestreckt und fest an dem Bein zerrend, um zu verhindern, daß die Bruchkante des Knochens nach oben rutsche und die Haut durchstoße, drehte er langsam seinen Rumpf, bis sein Hinterkopf der Straße zugekehrt war. Dann, das gebrochene Bein mit beiden Händen festhaltend, stemmte er die Sohle des rechten Fußes gegen den Rist des linken und drückte hart dagegen, während er sich schwitzend auf den Bauch wälzte. Er stemmte sich auf den Ellbogen hoch, faßte dann wieder mit beiden Händen das linke Bein, streckte es lang hinter sich, mit dem rechten Fuß nachstoßend, und da lag er nun. Er betastete mit den Fingern die linke Hüfte. Alles in Ordnung. Der Knochenrand hatte nicht die Haut durchbohrt und war jetzt in den Muskel eingebettet.
Der Hauptnerv muß zerstört worden sein, als der verdammte Gaul über mir zusammenstürzte, dachte er. Es tut wirklich nicht weh. Außer jetzt, bei gewissen Bewegungen. Wenn der Knochen eine empfindliche Stelle trifft. Siehst du? sagte er. Siehst du, was es heißt, Glück zu haben? Du hast den Riesentöter gar nicht gebraucht.
Er langte nach dem Schnellfeuergewehr, nahm das Magazin heraus, holte ein gefülltes Magazin aus der Tasche, öffnete den Verschluß und visierte durch den Lauf, setzte das frische Magazin ein, bis die Feder einschnappte, und blickte dann den Hügelhang hinunter. Vielleicht noch eine halbe Stunde, dachte er. Nur ruhig! Dann blickte er zu den Bergen hinüber, betrachtete die Kiefern und bemühte sich, sein Denken auszuschalten.
Er sah den Fluß, er erinnerte sich, wie kühl es im Schatten unter der Brücke gewesen war. Wenn sie nur schon kämen! dachte er. Ich möchte, wenn sie kommen, meine fünf Sinne beisammen haben.
Wer, meinst du, hat es leichter? Der, der an Gott glaubt, oder der, der es einfach hinnimmt? Der Glaube ist tröstlich, wir aber wissen, daß wir uns vor nichts zu fürchten brauchen. Schlimm ist's nur, wenn es lange dauert und so weh tut, daß man die Haltung verliert. Darin hast du Glück, verstanden? Das alles bleibt dir erspart.
Wunderbar, daß sie da vongekommen sind! Jetzt ist mir alles egal. Es ist doch irgendwie so, wie ich sagte. Wirklich! Denk dir nur, wie anders es wäre, wenn sie jetzt alle dort auf dem Hügelhang lägen, wo der tote Gaul liegt. Oder wenn wir alle hier beisammenhockten und auf das Ende warteten. Nein. Sie sind weg. Wenn bloß noch der Angriff glücken würde! Was verlangst du? Alles. Ich verlange alles, und ich nehme, was ich kriege. Wenn dieser Angriff nichts taugt, wird der nächste glücken. Ich habe gar nicht bemerkt, ob die Flugzeuge zurückgekehrt sind. Mein Gott, was für ein Glück, daß ich Maria bewegen konnte, mit den anderen mitzugehen!
Gern würde ich Großvater diese Geschichte erzählen. Ich möchte wetten, er mußte nie hinübergehen und seine Leute aufstöbern und eine solche Sache inszenieren. Woher weißt du das? Vielleicht hat er es fünfzigmal gemacht. Nein, sagte er. Nicht übertreiben! So was macht man nicht fünfzigmal. Fünfmal wäre schon zuviel. Vielleicht kein einziges Mal – nicht genau dasselbe wie hier. Aber doch! Auch andere müssen das schon gemacht haben. Wenn sie jetzt bloß kämen! dachte er. Möglichst schnell, denn das Bein beginnt weh zu tun. Wahrscheinlich die Schwellung.
Alles ging so wunderbar, als das Dreckding uns erwischte, dachte er. Aber ein Glück, daß es nicht schon früher passiert ist, als ich noch unter der Brücke saß! Wenn eine Sache von Anfang an nicht stimmt, dann muß was passieren. Als Golz seine Befehle erhielt, warst du, Robert Jordan, verratzt. Das hast du genau gewußt, und das hat wahrscheinlich auch Pilar empfunden. Aber später einmal wird man solche Sachen besser organisieren.
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