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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Pferdeschweiß und Menschenschweiß, der in die Kleider eingebeizt ist (scharf und grau der Menschenschweiß, süßlich und ekelerregend der getrocknete, abgestreifte Schaum des Pferdeschweißes), fern von den Männern am Tisch atmete Robert Jordan tief die reine Nachtluft der Berge, die nach Kiefern roch und nach dem Tau auf dem Gras der Wiesen neben dem Fluß. Viel Tau war gefallen, seit der Wind sich gelegt hatte, aber Robert Jordan dachte, morgen früh werde es Frost geben.
 Wie er so dastand, tief atmend und in die Nacht hineinhorchend, hörte er zuerst in der Ferne einen Schuß und dann einen Eulenschrei im Wald zu seinen Füßen, aus der Richtung des Pferdepferchs. Dann fing drinnen in der Höhle der Zigeuner zu singen an, zu den Klängen einer Gitarre.
 
»Ein Erbe hat mir mein Vater vererbt...« Die gekünstelt harte Stimme stieg grell empor und hing in der Luft.
 
»Den ganzen Mond und die Sonne,
  Und zieh ich auch durch die ganze Welt,
  Ich kann es nicht vergeuden.«
 
Dumpfe Gitarrenakkorde applaudierten dem Sänger. »Gut«, hörte Robert Jordan eine Stimme sagen. »Sing uns den Katalanen, Zigeuner.«
 »Nein.«
 »Ja, den Katalanen.«
 »Also gut«, sagte der Zigeuner und begann in trübseligem Ton zu singen:
 
»Meine Nase ist platt,
  Mein Gesicht ist schwarz.
  Und trotzdem bin ich ein Mann.«
 
»¡Olé!« sagte jemand. »Weiter, Zigeuner!« Die Stimme des Zigeuners stieg tragisch und spottend empor.
 
»Gott sei Dank, daß ich ein Neger bin,
  Und nicht ein Katalan!«
 
»So viel Lärm!« sagte Pablos Stimme. »Halt's Maul.«
 »Ja«, ertönte die Stimme der Frau. »Viel zuviel Lärm. Mit dieser Stimme kannst du die guardia civil herbeilocken, und trotzdem taugt sie nichts.«
 »Ich weiß noch eine Strophe«, sagte der Zigeuner, und die Gitarre setzte ein.
 »Schenk sie dir!« sagte die Frau.
 Die Gitarre verstummte.
 »Ich bin heute nicht gut bei Stimme, also versäumt ihr nichts«, sagte der Zigeuner. Dann schob er die Decke beiseite und trat in die Nacht hinaus.
 Robert Jordan sah, wie er zu einem Baum hinüberging und dann auf ihn zukam.
 »Roberto«, sagte der Zigeuner leise.
 »Ja.«
 Robert Jordan merkte an der Stimme, daß der Mann nicht ganz nüchtern war. Er selbst hatte die beiden Absinthe getrunken und etwas Wein, aber sein Kopf war klar und kalt geblieben, dank dem harten Rencontre mit Pablo.
 »Warum hast du Pablo nicht getötet?« fragte der Zigeuner ganz leise.
 »Warum sollte ich ihn töten?«
 »Früher oder später mußt du ihn töten. Warum hast du nicht die Gelegenheit benützt?«
 »Meinst du das im Ernst?«
 »Was glaubst du denn, worauf sie alle gewartet haben? Was glaubst du denn, warum das Weib die Kleine weggeschickt hat? Glaubst du, das kann alles jetzt so weitergehen wie vorher?«
 »Tötet ihn doch selbst!«
  »¡Qué va!« sagte der Zigeuner ruhig. »Das ist deine Sache. Drei-oder viermal erwarteten wir, daß du ihn umbringst. Pablo hat keine Freunde.«
 »Ich habe daran gedacht«, sagte Robert Jordan. »Aber ich habe es sein lassen.«
 »Ja, das haben wohl alle gesehen. Alle haben deine Vorbereitungen gesehen. Warum hast du es nicht gemacht?« »Ich dachte, es könnte euch oder der Frau lästig sein.« »¡ Qué va! Und sie wartet, wie eine Hure wartet, bis der große Vogel geflogen kommt. Du bist jünger, als du aussiehst.«
 »Möglich.«
 »Töte ihn jetzt«, sagte der Zigeuner.
 »Das wäre Mord.«
 »Um so besser!« sagte der Zigeuner ganz leise. »Weniger gefährlich. Los. Töte ihn jetzt.«
 »So etwas bringe ich nicht über mich. Das ist mir widerwärtig, und so handelt man nicht, wenn man der Sache dienen will.«
 »Dann provoziere ihn. Aber du mußt ihn töten. Es läßt sich nicht vermeiden.«
 Während sie redeten, flog die Eule auf ihrem Jagdflug zwischen den Stämmen umher, weich wie das Schweigen, segelte auf und nieder mit raschem Flügelschlag, lautlos das Gefieder bewegend.
 »Schau sie dir an!« sagte der Zigeuner im Dunkeln. »So sollten die Menschen sich bewegen.«
 »Und am Tag blind in einem Baum sitzen, von Krähen umzingelt«, sagte Robert Jordan.
 »Das passiert selten«, sagte der Zigeuner. »Und dann ist es ein Zufall. Töte ihn!« fuhr er fort. »Warte nicht, bis es schwierig wird.«
 »Der günstige Augenblick ist vorbei.«
 »Provoziere«, sagte der Zigeuner. »Oder benütze die Stille der Nacht.«
 Die Decke, die den Höhleneingang verschloß, wurde zurückgeschlagen, und ein

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