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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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sagte Joaquín. »Er konnte sich nie sehr gut zurechtfinden, und er war Straßenbahner, und das ist nicht gerade die beste Vorschule fürs Gebirge. Ich bezweifle, daß er es länger aushalten konnte als ein Jahr. Er war auch ein bißchen schwach auf der Brust.« »Aber vielleicht ist er doch wohlauf.« Maria legte den Arm um seine Schultern.
 »Vielleicht, Mädchen. Warum auch nicht?« sagte Joaquín.
 Wie der Junge so dastand, reckte Maria sich zu ihm empor, legte die Arme um seinen Hals und küßte ihn. Joaquín wandte den Kopf ab, weil ihm die Tränen kamen.
 »Du bist mir wie ein Bruder«, sagte Maria zu ihm. »Ich küsse dich wie einen Bruder.«
 Der Junge schüttelte den Kopf, er weinte lautlos.
 »Ich bin deine Schwester«, sagte Maria. »Und ich liebe dich, und du hast eine Familie. Wir sind alle deine Familie.«
 »Einschließlich des Inglés«, sagte Pilar mit ihrer dröhnenden
 Stimme. »Stimmt das nicht, Inglés ?«
 »Ja«, sagte Robert Jordan zu dem Jungen. »Wir sind alle deine Familie, Joaquín.«
 »Er ist dein Bruder«, sagte Pilar. »He, Inglés ?«
 Robert Jordan legte den Arm um die Schultern des Jungen.
 »Wir sind alle Brüder«, sagte er. Der Junge schüttelte den Kopf.
 »Ich schäme mich, daß ich davon geredet habe«, sagte er.
 »Wenn man von solchen Dingen redet, macht man es allen nur noch schwerer. Ich schäme mich, daß ich euch lästig gefallen bin.«
 »Ich – – – in die Milch deiner Scham«, sagte Pilar mit ihrer tiefen, wohlklingenden Stimme. »Und wenn Maria dich noch einmal küßt, werde ich selber anfangen, dich zu küssen. Es sind Jahre her, seit ich einen Stierkämpfer geküßt habe, und wenn es auch nur ein mißglückter ist wie du! Ich möchte gerne einen mißglückten Stierkämpfer küssen, der Kommunist geworden ist. Halt ihn fest, Inglés, bis ich ihn ordentlich abgeküßt habe.« »Deja«, sagte der Junge und wandte sich hastig ab. »Laßt mich in Ruhe. Mir fehlt nichts, und ich schäme mich.«
 Er stand da und bemühte sich, seine Züge zu beherrschen. Maria nahm Robert Jordan bei der Hand. Pilar stemmte die Arme in die Hüften und sah Joaquín spöttisch an.
 »Wenn ich dich küsse«, sagte sie, »dann nicht wie eine Schwester. Den Trick kenne ich – wie eine Schwester küssen!«
 »Du brauchst nicht zu scherzen«, sagte der Junge. »Ich habe euch schon gesagt, daß mir gar nichts fehlt. Es tut mir leid, daß ich von der Sache geredet habe.«
 »Na, dann gehen wir endlich zu dem Alten!« sagte Pilar. »Diese Gefühle machen mich müde.«
 Der Junge sah sie an, sein Blick verriet, daß er mit einem Male tief gekränkt war.
 »Nicht deine Gefühle«, sagte Pilar zu ihm. »Meine. Bist du ein empfindliches Wesen, kleiner Stierkämpfer!«
 »Jaja, ich habe versagt«, sagte Joaquín. »Du brauchst nicht immer darauf rumzureiten!«
 »Aber jetzt läßt du dir zum zweitenmal den Zopf wachsen.«
 »Ja, und warum nicht? Es ist die ökonomisch beste Verwendung für Kampfstiere. Viele Menschen finden Beschäftigung, und der Staat wird die Sache kontrollieren. Und vielleicht würde ich mich jetzt nicht mehr fürchten.«
 »Vielleicht«, sagte Pilar. »Vielleicht.«
 »Warum führst du eine so brutale Sprache, Pilar?« sagte Maria zu ihr. »Ich habe dich sehr gern, aber du benimmst dich sehr barbarisch.«
 »Möglich, daß ich barbarisch bin«, sagte Pilar. »Hör mal, Inglés. Weißt du auch, was du El Sordo sagen wirst?«
 »Ja.« »Er quatscht nicht so viel wie ich und du und diese ganze sentimentale Menagerie.«
 »Was redest du da?« sagte Maria abermals in ärgerlichem Ton.
 »Ich weiß es nicht«, sagte Pilar, während sie weitermarschierte. »Was meinst du?«
 »Ich weiß es nicht.«
 »Manchmal habe ich vieles satt«, sagte Pilar zornig. »Verstehst du? Zum Beispiel, daß ich 48 Jahre alt bin. Hörst du? 48 Jahre alt und häßlich sein! Und dann den Schrecken sehen im Gesicht eines mißglückten Stierkämpfers kommunistischer Couleur, wenn ich im Scherz sage, daß ich ihn küssen werde!«
 »Das ist nicht wahr, Pilar«, sagte der Junge. »Das hast du nicht gesehen.«
 » Qué va, dann ist es nicht wahr. Und ich – – – in den Saft von euch allen. Ah, da ist er! ¡ Hola, Santiago! ¿Qué tal?«
 Der Mann, zu dem Pilar sprach, war klein und untersetzt, hatte ein braungebranntes Gesicht und breite Backenknochen, graue Haare, weit auseinanderstehende gelblich-braune Augen, eine schmale, gebogene Indianernase, eine lange Oberlippe und

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