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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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dir nicht solche Gedanken machen. Aber wer zensuriert mein Denken? Niemand außer mir selbst. Nein, ich werde mich nicht in eine defätistische Stimmung hineindenken. Erst einmal müssen wir den Krieg gewinnen. Wenn wir den Krieg nicht gewinnen, ist alles verloren.
 Aber er sammelte Fakten und horchte herum und merkte sich alles. Er leistete Kriegsdienst, er war der Sache treu und erfüllte seine Pflicht, so gut er nur konnte. Aber sein Verstand und seine Augen und seine Ohren gehörten ihm allein, und nachher, nach beendetem Dienst, würde er sich ein Urteil bilden. Und er würde reichliches Material haben, um daraus seine Schlußfolgerungen zu ziehen. Er hatte schon jetzt reichliches Material. Manchmal ein wenig zu viel.
 Schau dir diese Pilar an, dachte er. Was auch kommt, sie muß mir den Rest der Geschichte erzählen, wenn wir Zeit dazu haben. Schau, wie sie da mit den zwei jungen Leutchen geht! Drei hübschere Produkte spanischer Erde sind nicht aufzutreiben. Sie ist wie ein Gebirge, und der Bursche und das Mädchen sind wie junge Bäume. Die alten Bäume sind alle gefällt, und die jungen Bäume wachsen so sauber empor. Was auch die beiden mitgemacht haben, sie schauen so frisch und gesund und jung und unberührt aus, als hätten sie nie das Wort Unglück gehört. Aber wie Pilar erzählt, war Maria soeben erst wieder zu sich gekommen. Sie muß in einem schrecklichen Zustand gewesen sein. Er erinnerte sich an einen jungen Belgier aus der XI. Brigade, der mit fünf anderen Burschen aus seinem Dorf sich hatte anwerben lassen. Es war das ein Dorf mit etwa zweihundert Einwohnern, und der Junge war nie zuvor aus dem Dorf hinausgekommen. Als er, Robert Jordan, ihn zum erstenmal sah, draußen in Hans' Brigadestab, waren seine fünf Kameraden aus dem Dorf schon alle gefallen, und der Bursche befand sich in einer sehr üblen Verfassung. Sie verwendeten ihn als Ordonnanz, er mußte in der Stabsmesse servieren. Er hatte ein breites, helles, rotbackiges Flamengesicht und riesige, ungeschickte Bauernhände, und er bewegte sich mit seinen Tabletts so schwerfällig und wuchtig wie ein Karrengaul. Aber die ganze Zeit weinte er. Während des Essens weinte er immerfort lautlos in sich hinein.
 Wenn man aufblickte, stand er da und weinte. Wenn man Wein verlangte, weinte er, und wenn man ihm den Teller zum Nachfüllen hinreichte, weinte er mit abgewandtem Kopf. Dann hörte er zu weinen auf, aber wenn man ihn ansah, kamen ihm wieder die Tränen. Zwischen den Gängen weinte er in der Küche. Alle waren sehr freundlich zu ihm, aber es half nichts. Ich werde herausfinden müssen, was aus ihm geworden ist und ob er wieder zu sich gekommen ist und Frontdienst machen kann.
 Maria ist jetzt ziemlich in Ordnung. Jedenfalls sieht es so aus. Aber er ist ja kein Psychiater. Pilar versteht mehr von solchen Sachen. Wahrscheinlich ist das Zusammensein gestern nacht für sie beide gut gewesen. Ja, wenn es nur nicht aufhört. Ihm hat es zweifellos gut getan. Er fühlt sich heute sehr wohl, gesund, kräftig, sorgenfrei und froh. Die Lage sieht nicht rosig aus, aber er hat immer Glück gehabt. Er hat schon mit anderen Geschichten zu tun gehabt, die sich ebenso unangenehm ankündigten. ›Sich ankündigten‹ – das ist spanisch gedacht. Maria ist reizend.
 Schau sie dir an, sagte er zu sich selber, schau sie dir an. Er betrachtete sie, wie sie heiteren Sinnes in der Sonne vor ihm her ging, das Khakihemd am Hals offen. Sie hat die Bewegungen eines Füllens, dachte er. Daß einem so etwas über den Weg läuft! Das gibt es ja gar nicht! Vielleicht ist es auch gar nicht wahr, dachte er. Vielleicht hast du es nur geträumt oder erfunden, und es ist gar nicht wahr. Vielleicht geht es dir jetzt so wie in deinen Träumen, wenn die Frau, die du im Kino gesehen hast, nachts an dein Bett kommt und so freundlich und zärtlich zu dir ist. So hatte er mit ihnen geschlafen, während er schlafend im Bett lag. Er konnte sich noch sehr gut an die Garbo erinnern und an die Harlow. Ja, die Harlow, mehrere Male! Vielleicht war das nun wieder ein Traum.
 Aber er konnte sich noch recht gut erinnern, wie in der Nacht vor dem Angriff auf Pozoblanco die Garbo an sein Bett gekommen war, und als er den Arm um sie legte, da hatte sie seinen seidig weichen Wollsweater an, und als sie sich zu ihm niederbeugte, fiel ihr Haar nach vorne und über sein Gesicht, und sie sagte, warum er ihr denn nie gesagt habe, daß er sie liebe, da sie ihn doch die ganze Zeit geliebt habe?

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