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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Sie war nicht schüchtern und nicht kühl und nicht fremd. Sie war einfach lieb in seinen Armen, freundlich und lieb, ganz wie in den alten Zeiten mit John Gilbert, und es war so echt, als ob es wirklich passiert wäre, und er liebte sie viel mehr als die Harlow, obwohl sie nur einmal zu ihm kam, während die Harlow... Vielleicht war das auch wieder nur ein Traum.
 Vielleicht aber auch nicht, sagte er zu sich selber. Vielleicht könnte ich die Hand ausstrecken und diese Maria jetzt anrühren. Vielleicht hast du Angst davor, sagte er zu sich selbst. Vielleicht würdest du dann entdecken, daß es gar nicht wirklich passiert ist, daß es nicht wahr ist, daß du es erfunden hast wie die Träume von den Kinostars, oder wie des Nachts alle deine früheren Liebschaften wiederkehren und mit dir im Schlafsack schlafen, auf all den harten, nackten Böden, im Stroh der Schuppen und Ställe, der corrales und cortijos, in den Wäldern, in den Garagen, auf den Lastautos und in all den Bergen Spaniens. Alle kamen sie zu ihm in den Schlafsack, wenn er schlief, und waren alle viel netter als jemals im Leben. Vielleicht ist das hier genauso, vielleicht fürchtet er sich, sie anzurühren, aus Angst, es könnte nicht wahr sein. Vielleicht rührst du sie an, und dann ist es erfunden, oder du hast es geträumt. Er ging schnell über den Weg und legte die Hand auf des Mädchens Arm. Unter seinen Fingern fühlte er die Glätte der Haut unter dem abgenutzten Leinen. Sie sah ihn an und lächelte.
 »Hallo, Maria«, sagte er.
 »Hallo, Inglés «, erwiderte sie, und er sah ihr bräunliches Gesicht und die gelblichgrauen Augen und die lächelnden vollen Lippen und das kurzgestutzte, von der Sonne gebleichte Haar, und sie blickte zu ihm auf und lächelte ihm in die Augen. Es war also doch wahr.
 Nun kam El Sordos Lager in Sicht, am Rande des Kiefernwaldes, dort, wo die Schlucht zu Ende war und eine Mulde bildete wie ein umgestülptes Becken. In diesen Kalksteinschluchten muß es überall von Höhlen wimmeln, dachte er. Dort vorne sind zwei Höhlen, recht gut versteckt hinter dem dichten Krummholz. Der Platz ist ebenso gut wie Pablos Platz oder noch besser.
 »Wie war das, als sie deine Leute erschossen haben?« sagte Pilar zu Joaquín.
 »Nichts Besonderes, Frau«, sagte Joaquín. »Sie waren links, wie so viele in Valladolid. Als die Faschisten die Stadt säuberten, haben sie zuerst meinen Vater erschossen. Er hatte sozialistisch gewählt. Dann erschossen sie die Mutter. Sie hatte ebenso gewählt. Es war das erste Mal, das sie überhaupt wählte. Dann erschossen sie den Mann meiner einen Schwester. Er gehörte der Gewerkschaft der Straßenbahner an. Natürlich, er konnte doch nicht Straßenbahner sein, ohne der Gewerkschaft anzugehören. Aber mit Politik hatte er nichts zu tun. Ich kannte ihn sehr gut. Er war sogar ein kleines bißchen unverschämt. Ich glaube nicht einmal, daß er ein guter Genosse war. Und der Mann der anderen Schwester, der auch bei der Straßenbahn war, ging in die Berge so wie ich. Sie glaubten, daß sie weiß, wo er ist. Aber sie wußte es nicht. Sie erschossen sie, weil sie nicht sagen wollte, wo er sich aufhielt.« »Die Barbaren!« sagte Pilar. »Wo ist El Sordo? Ich sehe ihn nicht.«
 »Er ist da. Wahrscheinlich drinnen«, erwiderte Joaquín, und dann blieb er stehen, setzte den Gewehrkolben auf die Erde und sagte: »Pilar, hör zu. Und auch du, Maria. Verzeiht mir, wenn ich euch mit meinen Familiendingen belästigt habe. Ich weiß, alle haben dieselben Sorgen, und es ist viel besser, wenn man nicht davon redet.«
 »Du sollst ruhig davon reden«, sagte Pilar. »Wozu sind wir auf der Welt, wenn wir nicht einander helfen? Und zuhören und kein Wort sagen, das ist ohnehin nur eine kühle Hilfe.«
 »Aber Maria könnte es lästig sein. Sie hat eigenen Kummer.«
  »¡Qué va!« sagte Maria. »Ich habe einen solchen Sack voller Sorgen, daß deine auch noch leicht mit hineingehen. Du tust mir leid, Joaquín, und ich hoffe, deiner Schwester geht es gut.«
 »Bisher geht es ihr leidlich«, sagte Joaquín. »Sie haben sie eingesperrt, und sie wird wohl nicht sehr schlecht behandelt.«
 »Hast du noch andere Verwandte?« fragte Robert Jordan.
 »Nein«, sagte der Junge. »Ich bin allein. Abgesehen von dem Schwager, der in die Berge ging, und ich glaube, der ist tot.«
 »Vielleicht ist er wohlauf«, sagte Maria. »Vielleicht ist er bei irgendeinem Trupp in einem anderen Gebirge.«
 »Für mich ist er tot«,

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