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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Schwester‹ zu sagen! Er konnte sich gar nicht mehr erinnern, wie oft er sie auf solche Art ihre Toten hatte erwähnen hören. Fast immer geschah es auf die gleiche Weise wie jetzt, ganz plötzlich, wenn gerade der Name der Stadt fiel, und immer sagte man dann: »Die Barbaren!« Man hört nur die Feststellung. Man sieht nicht den Vater unter den Kugeln fallen – wie er, Robert Jordan, die Faschisten hatte sterben sehen in der Geschichte, die Pilar ihm am Bachufer erzählt hatte. Man weiß, der Vater ist auf irgendeinem Hof gestorben oder an einer Mauer oder auf einem Feld oder in einem Obstgarten oder des Nachts, im Licht der Scheinwerfer eines Lastautos, an irgendeinem Straßenrand. Man hat von den Bergen her die Lichter der Autos gesehen und die Schüsse gehört, und dann ist man zu der Straße hinuntergegangen und hat die Leichen gefunden. Man hat nicht gesehen, wie die Mutter erschossen wurde oder die Schwester oder der Bruder. Man hat es nur gehört, und man hat die Schüsse gehört, und man hat die Leichen gesehen.
 Was Pilar ihm erzählte, das hatte er alles vor sich gesehen. Wenn diese Frau bloß schreiben könnte! Er wird versuchen, es aufzuschreiben, und wenn er Glück hat und sich an alles genau erinnern kann, wird er es vielleicht genauso aufschreiben, wie sie es erzählt hat. Mein Gott, wie sie erzählen kann! Besser als Quevedo, dachte er. Der hat nie den Tod eines Don Faustino so gut beschrieben, wie sie ihn erzählt. Wenn ich bloß so gut schreiben könnte! Wenn ich bloß ein guter Schriftsteller wäre, um diese Geschichte zu schreiben! dachte er. Das schildern, was wir gemacht haben! Nicht das, was die anderen uns angetan haben! Darüber wußte er eine Menge. Er wußte, was hinter der Front vorging. Aber man muß die Leute von früher her gekannt haben. Man muß wissen, was für eine Rolle sie dort gespielt haben.
 Weil wir immer herumjagen, dachte er, und weil wir nicht dableiben, bis die Strafe uns ereilt, wissen wir nie, wie die Sache eigentlich endet. Du übernachtest bei einem Bauern und seiner Familie. Du kommst nachts bei ihm an und ißt an seinem Tisch. Am Tag versteckt er dich, und am nächsten Abend bist du schon wieder weg. Du hast deine Arbeit getan und dich aus dem Staub gemacht. Wenn du das nächste Mal wieder in die Gegend kommst, hörst du, daß sie die Leute erschossen haben. So einfach ist das. Aber wenn es passiert, bist du immer schon weg. Die Partisanen richten ihren Schaden an und machen sich davon. Die Bauern bleiben zurück und nehmen die Strafe auf sich. Diese anderen Geschichten habe ich schon immer gewußt, sagte er. Wie wir sie anfangs behandelt haben. Ich habe es immer gewußt, und es war mir abscheulich, und ich habe gehört, wie darüber geredet wurde, schamlos und voller Beschämung, wie sie damit prahlten, wie sie es verteidigten, wie sie erklärten oder leugneten. Aber dieses verdammte Weib hat es mich miterleben lassen, als ob ich dabei gewesen wäre.
 Na ja, dachte er, das gehört zu deiner Erziehung. Eine ganz gute Erziehung, wenn's erst einmal vorbei ist! In diesem Krieg kannst du viel lernen, wenn du die Ohren aufmachst. Ganz bestimmt! Ein Glück für ihn, daß er schon vor dem Krieg fast zehn Jahre in Spanien gelebt hatte. Sie vertrauen dir grundsätzlich, wenn du die Sprache sprichst. Wenn du die Sprache gut verstehst und den Dialekt beherrschst und die verschiedenen Gegenden kennst, dann haben sie gleich Vertrauen zu dir. Der Spanier hängt nicht nur an seinem Heimatort. Zuerst kommt natürlich Spanien, dann seine Provinz, dann sein Dorf, seine Familie und schließlich sein Beruf. Wenn du Spanisch kannst, ist er schon für dich eingenommen, wenn du seine Provinz kennst, ist das noch besser, aber wenn du sein Dorf kennst und sein Gewerbe, dann gehörst du zu ihnen, soweit das überhaupt für einen Ausländer möglich ist. Er, Robert Jordan, kam sich nie als Ausländer vor, wenn er Spanisch sprach, und meistens behandelten sie ihn auch gar nicht wie einen Ausländer. Anders ist es freilich, wenn sie auf einen losgehen. Natürlich gehen sie auf einen los. Sehr oft sogar, aber das ist ihre Gewohnheit. Sie gehen auch gegeneinander los. Wenn du drei Spanier beisammen hast, tun sich sofort zwei von ihnen gegen den dritten zusammen, und dann fangen die zwei an, einander zu verraten. Natürlich passiert das nicht immer, aber es passiert doch so oft, daß man eine hübsche Anzahl von Beispielen sammeln und daraus seine Schlußfolgerungen ziehen kann.
 Du sollst

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