Wen das Feuer verbrennt (German Edition)
sich in aller Ruhe die
besten Teile für sich und ihre Kinder ausgesucht hatte. Danach
warfen sich alle gleichzeitig auf den Rest, um mit Tritten und
Fäusten um jeden Krümel zu kämpfen. Anfangs hatte es Ravenna nicht
gekümmert, dass sie weder etwas zu Trinken noch zu Essen abbekam.
Ihr wurde schon allein von dem Geruch des fauligen Wassers übel.
Aber irgendwann bekam sie solchen Durst, dass sie sich beim nächsten
Mal mit auf das Wasser stürzte. Sie bekam einen Becher zu fassen,
doch bevor sie ihn richtig leergetrunken hatte, riss ihn ihr schon
wieder jemand aus der Hand.
Ravenna begriff auf
brutale Art: Wenn sie hier drin überleben wollte, dann musste sie
genauso unmenschlich und rabiat werden, wie die anderen.
Ihr war fürchterlich
zumute. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so verzweifelt
gefühlt. Ihre Kleidung war feucht und klamm, sie stank nach Urin und
Kot und in ihren Haaren und an ihrem Körper verspürte sie
fürchterlichen Juckreiz. Läuse und Flöhe hatten sich ihrer bereits
bemächtigt. Die ersten Kratzwunden begannen sich zu entzünden und
es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie Krätze bekommen würde.
Sie betete fast ohne
Unterlass und flehte ihren Vater an, jemanden zu schicken, der sie
endlich aus diesem Loch herausholte. Sie wollte hier drin nicht
sterben! Zwischendurch flammte unbändiger Hass auf Moira Cunningham
auf. In Gedanken brachte Ravenna die bösartige Countess auf jede nur
erdenkliche Art um. Sie hasste diese Frau, die ihr das angetan hatte,
aus tiefster Seele. Wenn ich diesen Kerker jemals wieder lebend
verlassen sollte, schwor sie sich kalt, dann werde ich dafür sorgen,
dass diese Hexe hier eingesperrt wird und hier drin vermodert.
Ravennas ganze Hoffnungen
ruhten auf Eliza. Mittlerweile betete sie sogar darum, dass Eliza
sich nicht an ihr Versprechen halten würde und den Duke auf jeden
Fall benachrichtigen würde. Soll sie ihm doch die ganze Wahrheit
über mich erzählen! Ravenna war alles egal. Hauptsache der Duke
holte sie aus dieser Hölle. Er war vermutlich der einzige, der sie
aus diesem stinkenden Loch befreien konnte. Dafür würde sie alles
erdulden: seinen Hass, seine Verachtung, seine Strafen – egal!
Selbst ein Leben in bitterer Armut und in der Gosse erschien ihr
erstrebenswert im Vergleich zu diesem stinkenden, dunklen, feuchten
Rattenloch. Sie betete und flehte, jammerte und weinte - doch niemand
kam! Nicht einmal ein Ankläger oder irgendjemand, der ihr sagen
konnte, wie es weiterging. Als sie Rose fragte, wann denn endlich
jemand käme und sich um ihren Fall kümmern würde, lachte sich die
große Frau halbtot: “Vielleicht schon morgen, Schätzchen,
vielleicht auch erst in ein paar Wochen – vielleicht aber auch gar
nie!“ Sie lachte dröhnend und ihre zerlumpte Hofschar fiel
meckernd mit ein.
Ravennas Hoffnungen
schwanden mit jeder Stunde und mit jedem Tag der verging, ohne dass
irgendetwas passierte. Irgendwann war sie so erschöpft und so
schwach, dass sie sich in die hinterste Ecke des Kellers verkroch und
in eine Art Dämmerzustand verfiel. Träume zogen an ihrem inneren
Auge vorbei. Wunderschöne Träume. Sie sah die saftig-grünen Wiesen
von Manor Garden, die Sonne strahlte vom blauen Himmel und die Luft
roch so frisch, so sauber, so gut! Sie blickte hinauf in den
grenzenlos weiten Himmel - direkt in die vertrauten, lachenden,
grau-blauen Augen des Dukes! Ravenna lächelte glücklich, als sie
spürte wie er sie hochhob und auf seinen starken Armen nach Manor
Garden trug.
„Meine Güte! Dieser
Gestank ist unerträglich. Wir müssen sie sofort baden. Würdet Ihr
sie bitte in die Wanne tragen!“ Eliza versuchte Ravennas vor
Schmutz starrende Kleider zu öffnen. Als ihr das nicht gelang, griff
sie zu einer Schere und schnitt einfach alles auf. Sie warf die
Lumpen angewidert auf einen Haufen. „Jetzt bitte, Mylord!“ wandte
sich Eliza an den großen Mann, der bislang schweigend neben ihr
gestanden hatte.
Nicolas nahm die wie
leblos wirkende Ravenna auf den Arm. Er war erstaunt wie leicht sie
war. Seine Hände fühlten nur Haut und Knochen, da waren keine
weichen Rundungen wie in seiner Erinnerung. Und doch, sein Körper
erkannte den ihren sofort wieder. Der Duke verdrängte seine Gefühle
und trug Ravenna zu der Kupferwanne, die mit lauwarmen Wasser gefüllt
war. Vorsichtig legte er sie so hinein, dass ihr Kopf auf dem
Wannenrand zu liegen kam. Er hielt ihren vertrauten und gleichzeitig
fremden Körper solange fest, bis Eliza
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