Wen das Grab ruft
Plötzlich fühlte ich mich so leicht und gleichzeitig auch wie von unsichtbaren Händen angehoben und getragen. Jemand wollte mich wegschaffen.
Ich schloss die Augen, als hätte ich einen Befehl bekommen und gab mich voll und ganz meinen Gefühlen hin. Es waren wunderbare Eindrücke, obwohl ich nichts sah. Ich schwebte in der mich umgebenden Dunkelheit wie auf Wolken und schien immer weiter fortgetragen zu werden.
Anderen Welten entgegen, vielleicht der Unendlichkeit oder dem Totenreich, wo mein jetziger Körper für immer bleiben würde und der andere in die normale Welt zurückkehrte.
Es war nicht so wie auf einer Dimensionsreise. Mich umgaben weder Farben noch andere Eindrücke, nur die absolute Dunkelheit, die dennoch voller Leben steckte. Ein Leben, das sich mir nicht zeigte, das sich aus gestaltlosen Wesen zusammensetzte, die immer näher an mich herankamen, so dass ich fast ihre Berührung spürte. Waren das Hände, die mich umfassten und wie Schemen über meinen Körper glitten? Ich wusste es nicht und machte mich bereit, sie aufzunehmen. Ich breitete die Arme aus, bis ich mit den Handrücken links und rechts gegen die Innenseiten der Sargverkleidung stieß. Sie war kühl. Die Berührung erzeugte bei mir eine Gänsehaut. Es war das letzte, was ich als John Sinclair wahrnahm.
Plötzlich wurde mein Geist fortgetragen. Es geschah abrupt, ich war nicht mehr in der Lage zu denken und mich zu erinnern. Alles, was hinter mir lag, verblasste allmählich. Es gab keinen Geisterjäger John Sinclair mehr, keine Dämonen, kein Scotland Yard, keine Freunde und auch keine Jane Collins.
Nur das Nichts…
Und ein Geist, der in dieser nicht messbaren Welt gefangen war, wobei er umherirrte, damit er einen neuen Körper finden konnte, in den er hineinschlüpfte.
Es war genau mein Geist, der so reagierte, der sich treiben ließ wie ein Suchender, der auch Bilder aufnahm, sie aber nicht hinüberbrachte, denn er fand kein Gehirn mehr, das diese Eindrücke hätte speichern können, weil der Körper, zu dem er einst gehört hatte, nur mehr eine leere Hülle war. Gefangen in einem alten Sarg aus Stein, war er voll und ganz in die Gewalt einen mächtigen Zauberers gelangt. Kontakt! Es geschah plötzlich. Der suchende Geist war auf sein Ziel getroffen, und im Grab glühte für einen Moment das Licht hellrot auf, dass selbst der dort wartende Schamane erschrak.
Die uralte Gestalt beugte sich gespannt vor. Sie schaute in das Licht hinein, murmelte mit dumpfer, kratziger Stimme finstere Beschwörungsformeln und holte somit das Unheil herbei, das diesen Geist, der in einem neuen Körper steckte, führen sollte. Nur seinem Willen musste und durfte er gehorchen. Er, der Schamane, war die große Leitfigur, denn er allein hatte es geschafft, den Tod zu überwinden. Was er in uralter Zeit aufgebaut hatte, trug nun in der fernen Zukunft seine Früchte.
Das Licht nahm wieder einen blasseren Farbton an. Schwächer und schwächer wurde es, und dieser Vorgang geschah intervallweise. Gleichzeitig zeigte er dem Schamanen, dass abermals eine Beschwörung geglückt war und er sich nach wie vor auf die finstere Kraft seiner unheimlichen Magie voll verlassen konnte.
Zweimal schritt Laktur um den Sarg herum. Er hatte die Anne ausgestreckt, so dass sich die verschiedenartigen Hände stets über dem Oberteil befanden. Von ihnen aus liefen die unsichtbaren Ströme durch den Sargdeckel und erfassten die Gestalt, die in seinem Innern lag und die schreckliche Reise miterlebt hatte.
Sie war zu einer anderen geworden. Eine magische Tauschaktion hatte stattgefunden, und der neue Körper, bisher noch eingeschlossen, wollte sein Gefängnis verlassen.
Auch Laktur wusste nicht, wen er vor sich hatte. Der direkte Blick in das Reich der Geister blieb auch ihm verschlossen. Er konnte es nur aktivieren und fühlen, dass sich dort etwas tat. Seine verschiedenartigen Arme sanken nach unten. Er legte sie an seinen Körper wie ein alter Soldat, ging einen Schritt zurück und wartete ab, was geschehen würde. Zunächst tat sich nichts. Die Stille innerhalb des Hügelgrabes war vollkommen. Dann bewegte sich der Deckel! Ein Zittern durchlief ihn. Die unter ihm kauernde Kraft wirkte so, als wollte sie das Gestein sprengen, doch sie wurde in die entsprechenden Bahnen gelenkt, so dass sich der Deckel auf dem Unterteil bewegen konnte.
Zunächst kratzte und schabte er. Intervallweise erklang dieses knirschende Geräusch, als der schwere Steindeckel zum unteren Ende
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