Wen das Grab ruft
hasst!« versprach er mir. »Du wirst eingehen in ein fernes Reich oder der werden, den ich für dich ausgesucht habe.«
Als er mir dieses Versprechen gab, umzuckte abermals ein Lächeln meine Lippen, und ich stellte ihm trotzdem eine andere Frage: »Wer bist du, der du so sprechen kannst?«
»Ich bin Laktur!«
Laktur? Der Name schallte in meinem Hirn nach. Nein, sosehr ich auch überlegte, gehört hatte ich ihn noch nie. Der war mir völlig unbekannt, und ich hatte schon zahlreiche schwarzmagische Wesen auf meinem langen Weg kennen gelernt.
Er wusste, womit sich meine Gedanken beschäftigten und fragte deshalb: »Du überlegst, wer ich sein könnte?«
»In der Tat.«
Sein Lachen klang wie das Brechen von Ästen. So knarrend und knackend. »Ich bin uralt«, setzte er zu einer Erklärung an. »Mich hat es gegeben, als in diesem Land noch alles wüst und öde war. Nur wenige Menschen lebten hier, als wir, die Nordländer, einfielen und damit begannen, einen Teil zu erobern. Hier setzten wir uns fest, hier bauten wir unsere Festungen und unser Göttergräber. Ich, Laktur, bin ein Zauberpriester. Manche sagen auch Schamane. Ich habe dafür gesorgt, dass es denjenigen Menschen gut ging, die sich auf meine Seite stellten, und habe die Verbindung zu den mächtigen Dämonen des Götterreiches aufrechterhalten. Sie gaben mir die Kraft, um den anderen zu zeigen, welch ein Wissen in meinem Körper steckt. Ich habe das Geheimnis des Todes überwinden können. Ich wusste über die Seelenwanderungen Bescheid. Ich war es, der den Tod besiegte, der dafür sorgte, dass andere Menschen, die zu mir kamen, befriedigt wurden. Nach mir haben viele den Tod überwinden können, ich aber war der erste, und ich starb auch nicht, denn ich bin unsterblich. Als meine Zeit kam, schloss ich die Augen, und man begrub mich im Innern dieses schon zu meinen Lebzeiten erbauten Grabes. Aber ich war nicht tot. Mein Kräfte reichten aus, um die Zeiten zu überdauern. Sie drangen durch den Hügel und erreichten die, auf die es mir ankam.«
»Wer war das?« fragte ich.
»Ich habe es willkürlich ausgesucht. Jeder, der sich meinem Grab in einer bestimmten Zeit näherte, spürte plötzlich die Sehnsucht in sich, nicht mehr so weiterzuleben, wie er es gewohnt war. Es gibt nicht nur ein Leben, der Tod hat viele Gesichter, auch Gesichter, die leben, wenn du verstehst.«
»Nein…«
»Reiner, du bist gekommen, um zu sterben. Aber du wirst nicht sterben, obwohl du tot sein wirst. Es gibt die Seelenwanderung, und sie werde ich bei dir vornehmen.« Jetzt breitete er seine verschiedenen Arme aus, wobei der Skelettierte wie ein mit dünnem Blut übermalter Knochen wirkte. »Die Seelenwanderung wird auch dich erfassen und mit hineinziehen in ein Reich, in dem es anders ist. Bist du bereit, dein bisheriges Leben, so wie du es geführt hast, aufzugeben?«
Es war die entscheidende Frage, die er an mich gestellt hatte. Bestimmt hätte ich sie vor einer Stunde noch verneint, in diesem Fall brachte ich es einfach nicht fertig. Zu sehr befand ich mich unter dem Einfluss der in diesem Grab wohnenden Kräfte, deshalb blieb für mich nur eine Antwort übrig. »Ja, ich bin bereit!«
»Das wusste ich. Jeder, der zu mir kommt, ist bereit. Auch der, den ich zuletzt aus dem Grab geschickt habe. Er kam als Mensch und wurde zu einem Soldaten, der hier einmal gelebt hat und dann gestorben ist. Ein anderer traf den Geist eines Mostrums, so dass er aussah wie ein großer Vogel, der aber auch im Wasser leben konnte…«
Sehr entfernt kam mir die Erinnerung. Ja, da war etwas gewesen. Ich dachte an die Kiesgrube, an das Auftauchen des schrecklichen Monstrums, und ich nickte.
»Auch du wirst zu einem anderen«, erklärte er mir. »Leider bin ich nicht allmächtig und kann dir nicht sagen, wessen Geist dich überfallen wird. Es ist immer eine Überraschung, denn dir wird sich die gesamte Welt des Geisterreiches öffnen. Willst du es wirklich?«
»Ja, ich möchte es!«
»Ist deine Todessehnsucht so groß, dass du mit deinem jetzigen Leben abschließen wirst?« informierte er sich sicherheitshalber noch einmal.
»So ist es.«
»Dann komm zu mir.«
Ich ging. Und ich schritt wie auf Wolken. Ich fühlte mich in diesen Augenblicken so glücklich. Ich war hineingeraten in den Bann einer uralten Magie, die stärker als die Menschen der Neuzeit nebst ihrer so großen Technik war.
Seine Knochenklaue fasste nach meiner Hand. Ich hatte damit gerechnet, Kälte in seinen Fingern zu
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