Wen das Grab ruft
einfach alles zu. Kein Licht, kein noch so schwaches Leuchten, nur ein muffiger modriger Geruch strömte ihnen entgegen, und sie sahen die erste Sprosse einer einfachen Leiter, die sich direkt am Einstieg befand. Suko hatte schon seine Lampe hervorgeholt. Er leuchtete in das Hügelgrab hinein. Der Strahl wirkte wie ein mit dem Messer geschnittener heller Tunnel, wanderte, als Suko seine Hand bewegte und dabei ein Ziel fand, dass Bill und er als Sarg identifizierten. Zuerst hatten beide gedacht, auf einen verschlossenen Sarg zu schauen, bis Suko zur Seite leuchtete und der feine Strahl auf einen verschobenen Deckel fiel.
In die Öffnung leuchtete der Inspektor auch hinein. Er rechnete damit, auf ein bleiches Gesicht zu treffen, doch der Sarg war leer, und Suko fiel ein ebensolcher Stein vom Herzen wie Bill.
»Im Sarg ist er nicht«, meinte der Reporter. »Wir sollten trotzdem hinabsteigen.«
Das taten beide. Bill, der den Vorschlag gemacht hatte, ging vor. Er erreichte auch zuerst den Grund, blieb dort stehen, holte ebenfalls eine kleine Lampe hervor und leuchtete in die Runde. Die doppelte Lichtstärke brachte es an den Tag. Neben dem Sarg lag so etwas, das aussah wie ein Kopf. Und ein Stück entfernt fanden sie den Körper. Obwohl es den Reporter Überwindung kostete, schritt er vor und nahm den Kopf hoch. Er wog ihn auf dem Handteller, als er zu Suko zurückging. »Das Ding ist ziemlich leicht.« Dabei drehte er ihn durch geschicktes Hochwerfen so, dass Suko in das Gesicht schauen konnte. Sie untersuchten den Schädel genau, klopften ihn ab, kratzten dagegen und stellten fest, dass sich die alte Haut knisternd wie trockene Baumrinde löste. Darunter erschienen Knochen. Sie schimmerten grau und waren fast so weich wie Butter.
»Das ist nicht John Sinclair!« flüsterte der Reporter. »Verdammt, das kann er nicht sein.«
Suko gab ihm recht. Bill legte den Kopf auf den Sargdeckel. »Ich möchte gern wissen, um wen es sich dann handelt?«
Suko glaubte, eine Antwort auf die Frage geben zu können. »Hat Pete Olson nicht von einem Schamanen gesprochen, der angeblich hier gehaust haben soll?«
Überrascht lachte der Reporter auf. »Du meinst, dass es sich bei dieser Gestalt um einen Schamanen handelt?«
»Es könnte sein.«
»Und wer sollte ihn umgebracht haben?«
»Vielleicht John.«
Bill schaute den Chinesen starr an. »Nein«, erwiderte er entschieden. »Das kann ich nicht glauben. Nein, das ist unmöglich. John tötet nicht und wirft danach seine Waffen weg. So etwas ist unmöglich, Suko, das musst du einsehen.«
»Schon.« Der Inspektor schritt einmal um den Sarg herum. »Ich würde dir auch recht geben, wenn du mir eine Lösung nennst, die besser passt als meine.«
»Das kann ich nicht.«
»Eben.«
»Noch nicht, Suko«, präzisierte der Reporter. »Ich werde danach fahnden, darauf kannst du dich verlassen.« Heftig nickte Bill Conolly zu seinen Worten. »Dieser Schamane oder wer immer es auch gewesen sein mag, ist erledigt. Verschwunden ist John Sinclair, und ihn werden wir suchen. Irgend etwas muss mit ihm geschehen sein. Der lässt seine Waffen nicht liegen und geht auch nicht zu Fuß weg, wenn sein Wagen da steht. Das ist unmöglich.« Obgleich Bill Conolly laut gesprochen hatte, klang seine Stimme im Grabinnern dumpf, als würden die Wände jeden einzelnen Laut verschlucken wie aufgerissene Mäuler.
»Im Prinzip gebe ich dir recht«, erklärte Suko und leuchtete das rund angelegte Grab noch einmal ab. Gemeinsam untersuchten die Männer auch den Sarg. Spuren, die auf einen Verbleib des Geisterjägers hingedeutet hätten, fanden sie nicht. So blieb ihnen keine andere Möglichkeit, als das Grab zu verlassen und den Freund woanders zu suchen.
Auf der Hügelkuppe atmeten sie beide tief ein, wobei sie ihre Blicke über das flache Land gleiten ließen, als könnten sie irgendwo zwischen dem Himmel und der Erde, fast verschmolzen mit dem grauen, kaum sichtbaren Horizont, eine Spur des Verschwundenen entdecken. Sie sahen nichts. Nur das dunkle, glatte Land, dessen Eintönigkeit hin und wieder durch die ovalen Waldinseln unterbrochen wurde.
»Es gäbe noch ein Chance«, sagte der Chinese, als beide den Hang hinabrutschten.
»Und die wäre?«
»Dass John so reagiert hat wie dieser Zombie-Soldat und dorthin gegangen ist, wo er Menschen findet.«
Bill zog seine Sohlen durch das Gras, weil er sie vom Lehm befreien wollte. »Was sollte er da?«
»Das Schlimmste will ich nicht befürchten, aber wir müssen
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