Wen das Grab ruft
erwischt. Einen John Sinclair gab es nicht mehr, nur noch Torkan, den Barbar, der so redete und handelte wie ein Krieger aus ferner Zeit, als nur das Gesetz des Stärkeren galt. Er war eine wilde, unheimliche Figur, und mit geschmeidigen Bewegungen kletterte ich aus dem Grab.
Das Schwert hielt ich in der rechten Hand. Es war eine Hand mit kräftigen, knochenstarken Fingern. Man konnte ihr ansehen, dass sie es gewohnt war, hart und kompromisslos zuzuschlagen. Der Wind wühlte mein schwarzes Haar auf, als ich aus dem Innern des Hügelgrabes kroch. Kalt fuhr er gegen meinen nackten Oberkörper, schuf eine Gänsehaut, aber die störte mich nicht. Ich hatte den Mund geöffnet, atmete die reine klare Luft ein und stieß einen urigen Schrei aus, der weit über das flache Land hallte und in der Ferne verwehte. Dabei rammte ich das Schwert hoch. Der Arm streckte sich, und die Muskeln begannen zu tanzen. Ich war der Sieger, man hatte es nie geschafft, mich zu töten, und ich würde der Sieger bleiben. Für einen Moment lugte der Mond durch die Wolken. Sein Licht traf auch die Klinge und übergoss sie mit einem fahlen Glanz, so dass sie vom Griff an aufwärts wie aus kostbarem Silber gegossen wirkte. Für einen Moment schaute ich, Torkan, gegen den düsteren Himmel und ergötzte mich an dem faszinierenden Spiel der vom Wind vorangepeitschten Wolken. Es waren Gebilde, wie ich sie aus der Vergangenheit her kannte, und sie wirkten auf mich wie eine Horde wilder Dämonen, denen ich mich schon des öfteren entgegengestemmt hatte. Dann senkte ich das Schwert. So schnell, dass es einen fauchenden Laut hinterließ.
Im nächsten Augenblick sprang ich mit einem gewaltigen Satz vom Hügel und lief im Laufschritt über das flache Land, das mich irgendwann verschluckte, so dass ich eins zu werden schien mit dem Himmel und der Erde.
Torkan war unterwegs. Diesmal nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart…
***
Ken Bulmer fuhr die Strecke London - Cambridge jeden Tag. Er transportierte auf seinem Lastwagen Dinge für die Uni, die es nur in London zu kaufen gab und die stets in großen Kisten verpackt waren, so dass der Fahrer nicht wusste, was er da geladen hatte. Es war ihm egal. Hauptsache, er besaß einen Job, und es ging ihm nicht wie vielen anderen Menschen.
Auf der Strecke kannte er fast jeden Stein und natürlich die Raststätten. An einer bestimmten, sie lag kurz vor London, hielt er stets an, wenn er eine Nachtfuhre hatte.
Diesmal war es der Fall. Er war in Cambridge noch nach Mitternacht abgefahren, denn am nächsten Mittag, nach einigen Stunden Pause, sollte er den gleichen Weg wieder zurückfahren.
In der Raststätte war er der einzige Gast. Hinter der Theke hockte Betty, die Bedienung, und rieb ihre rot umränderten Augen. Auch ihr fehlte der Schlaf. Das grelle Licht der Leuchten störte zudem noch, und sie hoffte, dass endlich Schichtwechsel war.
»Willst du noch eine Tasse?« fragte sie.
»Nein, ich muss weiter.« Ken Bulmer holte Geld aus der Hosentasche und zahlte.
Betty räumte die Tasse weg. »Wann sieht man dich wieder?«
»Vielleicht am nächsten Abend.« Er rutschte vom Hocker. »Mach's gut, bis später.«
»Ja, heißen Reifen.«
»Danke.«
Nichts empfand Ken Bulmer kälter als eine nächtliche leere Raststätte. So etwas Ungemütliches gab's kaum ein zweites Mal. Er war froh, in der Dunkelheit zu stehen, die Luft einzuatmen und über das flache Land sehen zu können. Nur sein Wagen stand einsam und verlassen auf dem Parkplatz. Von der Seite her gesehen wirkte er bulliger, als er tatsächlich war. Der Wind fuhr über die leere Fläche, wehte Papier vor sich her und spielte auch mit der die Ladefläche umgebende Plane. Während Ken Bulmer auf sein Fahrzeug zuging, zündete er sich eine Zigarette an. Er wollte den Kaffeegeschmack wegbekommen. Tief saugte er den Rauch in die Lungen. Durch die Nasenlöcher ließ er ihn wieder ausströmen, so dass an der Oberlippe ein grauer Streifen flatterte.
Automatisch glitten seine Blicke über den Parkplatz. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, nach verdächtigen Gestalten zu suchen. Oft genug trieb sich Gesindel nahe der Raststätten herum. Für solche Typen besaß er das richtige Argument. Einen Totschläger aus Hartgummi, der an seinem Gürtel hing. Ken war ein kräftiger Mann, früher hatte er mal gerungen.
Er wurde auch von keinem Tramper angesprochen, erreichte den Wagen, schloss auf und ließ sich hinter das Lenkrad fallen. Automatisch drückte er
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