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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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rauchen?«
    »Ich hab aufgehört«, entgegnete Milo. Sein Blick huschte unbehaglich von der Sekretärin zu Whelk, und Whelk wusste, dass Milo daran dachte, wie reich Whelks Vater einmal gewesen und was heute noch davon übrig war, lange nachdem der Prozess von den Titelseiten der Zeitungen verschwunden war. Das gesamte jüngere Kollegium und alle Verwaltungsangestellten hassten die Aglionby-Jungs für das, was sie besaßen und wofür sie standen, und Whelk war bewusst, dass sie sich insgeheim ins Fäustchen lachten, weil er zu ihnen abgestiegen war.
    »Was ist mit dir, Barry?«, fragte die Sekretärin jetzt. Dann beantwortete sie ihre eigene Frage: »Nein, du rauchst nicht, dafür bist du viel zu hübsch. Na gut, dann gehe ich eben allein.«
    Milo wandte sich ebenfalls zum Gehen. »Na dann, werd schnell wieder gesund«, sagte er freundlich, obwohl Whelk mit keinem Wort erwähnt hatte, dass er krank war.
    Die Stimmen in Whelks Kopf hatten sich zu einem Brüllen gesteigert, doch ausnahmsweise wurden sie von seinen eigenen Gedanken übertönt.
    »Ich glaube, mir geht es schon besser«, sagte Whelk.
    Möglicherweise war Czerny ja doch nicht umsonst gestorben.

6
    B lue hätte sich nicht unbedingt als Kellnerin bezeichnet. Immerhin brachte sie auch noch Drittklässlern Schönschrift bei, band Kränze für die Frauenhilfe der Kirchengemeinde, führte die Hunde aus Henriettas schickstem Apartmentkomplex Gassi und half den älteren Damen aus der Nachbarschaft, ihre Beete zu bepflanzen. Eigentlich war das Kellnern im Nino derjenige ihrer Jobs, der am wenigsten Zeit in Anspruch nahm. Aber die Arbeitszeiten waren flexibel, außerdem war es der solideste Punkt ihres jetzt schon bizarr anmutenden Lebenslaufs und mit Abstand am besten bezahlt.
    Es gab nur ein Problem, und zwar, dass sich das Restaurant fest in Aglionby-Hand befand. Es lag ganz am Rand der Altstadt, nur sechs Blocks vom eisern umzäunten Schulgelände entfernt. Es war nicht das schönste Lokal in Henrietta; andere hatten größere Fernseher und lautere Musik zu bieten, aber keines dieser anderen hatte es geschafft, die Schüler so an sich zu binden wie das Nino. Allein zu wissen, dass es sich beim Nino um den In-Laden handelte, war unter Aglionby-Schülern so etwas wie ein Charakterzeugnis – wenn man sich von Morton’s Sports Bar auf der Third Street verführen ließ, hatte man es schlicht nicht verdient, in den engsten Kreis aufgenommen zu werden.
    Und so waren die Jungs, die im Nino rumhingen, nicht einfach nur Aglionby-Jungs, sondern verkörperten deren hervorstechendste Wesensmerkmale in konzentrierter Form: laut, penetrant, selbstherrlich.
    Blue hatte für ihr Leben schon mehr als genug von den Raven Boys gesehen.
    An diesem Abend war die Musik bereits laut genug, um die sensibleren Teile ihrer Persönlichkeit zu lähmen. Sie band ihre Schürze um, versuchte so gut es ging die Beastie Boys zu überhören, und setzte ihr Trinkgeld-Lächeln auf.
    Kurz nach Beginn ihrer Schicht kamen vier Jungen herein und brachten einen kühlen Luftzug mit ins Lokal, in dem es nach Oregano und Bier roch. Im Fenster neben ihnen verkündete ein Neonschild »Seit 1976« und tauchte ihre Gesichter in limetteneisgrünes Licht. Der Junge ganz vorn hatte ein Handy am Ohr und hob bloß vier Finger, um Cialina mitzuteilen, wie viele sie waren. Raven Boys waren gut im Multitasken, zumindest solange jede einzelne Handlung nur ihnen selbst zugutekam.
    Als Cialina vorbeihastete, die Schürzentasche voller Bestellzettel, reichte Blue ihr vier fettfleckige Speisekarten. Cialinas Haare standen zu Berge, was gleichermaßen an elektrischer Aufladung und hoffnungslosem Stress lag.
    Mehr als unwillig bot Blue an: »Soll ich den Tisch übernehmen?«
    »Machst du Witze?«, erwiderte Cialina und musterte die vier Jungen gierig. Nachdem er sein Telefonat endlich beendet hatte, ließ sich der vorderste in eine der mit orangefarbenem Kunstleder bezogenen Sitznischen gleiten. Der größte von ihnen stieß sich den Kopf an der grünen Kristalllampe über dem Tisch, die anderen lachten gutmütig. Er sagte »Fuck« . Als er sich ein Stück drehte, um sich zu setzen, sah Blue eine Tätowierung aus seinem Kragen hervorlugen. Alle vier strahlten etwas Hungriges aus.
    Blue wollte sowieso nichts mit ihnen zu tun haben.
    Was sie wollte, war ein Job, der ihr nicht alle Gedanken aus dem Kopf saugte und durch das einlullende Gewummer eines Synthesizers ersetzte. Hin und wieder schlich Blue sich für eine winzige

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