Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
war es heute wieder angenehm frisch und kühl; die Sonne schien von einem wolkenlosen blauen Himmel herab, und die bunt gestrichenen Häuser in der Lansdowne Road sahen aus wie frisch gewaschen.
Als sie das Café am Elgin Crescent erreichten, begrüßte Otto Gemma mit einer Umarmung und Küsschen auf beide Wangen. »Gemma! Ich dachte schon, du hast gar keine Zeit mehr für deine alten Freunde.«
»Weniger, als ich gerne hätte«, stimmte sie ihm zu. »Aber heute Morgen habe ich mir ein bisschen freigenommen und lasse die Jungs die Schule schwänzen.« Das Café war zur Hälfte gefüllt, und Otto – das Geschirrtuch vorne in die Schürze gesteckt,
die Glatze vor Schweiß glänzend – schien den Laden allein zu schmeißen.
»Wo ist denn Wesley?«, fragte Kit, als sie an einem Fenstertisch Platz nahmen.
»Hat eine Vorlesung an der Uni. Er kommt heute erst nach dem Mittagessen. Und du, Kit – ist ja schön, dass du uns gleich zwei Tage hintereinander beehrst, nachdem du gestern mit deiner Freundin hier warst. Also, was darf ich euch bringen?«
Gemma warf Kit einen neugierigen Blick zu, wartete aber, bis sie ihre Eier mit Speck bestellt hatten, ehe sie fragte: »Du warst gestern hier, Kit?«
Er spürte, wie er rot wurde, kam sich deswegen blöd vor und errötete nur umso heftiger. »Es war kein Mädchen . Ich war mit Erika hier. Sie wollte spazieren gehen, und später haben wir hier Kaffee getrunken und einen Kuchen gegessen, den Otto gebacken hatte. Erika hat gesagt, dass er sie an das Gebäck erinnert, das sie in Deutschland immer gegessen haben.«
»Hat sie sich wieder gefangen nach …« Gemma schielte zu Toby, der fast von seinem Stuhl fiel, während er eifrig an irgendetwas an der Unterseite des Tisches herumkratzte. »Nach dieser Geschichte gestern«, beendete sie den Satz, während sie Tobys Handgelenke mit einer Hand packte. »Lass das, Schätzchen.«
»Aber da hat jemand Kaugummi hingeklebt, Mami!«, protestierte er.
»Ja, und das war sehr unartig von demj enigen. Der hätte eigentlich wissen sollen, dass er das nicht darf, und du solltest wissen, dass du so was nicht anfassen darfst.« Sie hievte ihn vom Stuhl und gab ihm einen Klaps auf den Hintern. »Und jetzt sei ein lieber Junge und frag Otto, ob du dir die Hände waschen darfst.«
Als sie sich wieder Kit zuwandte, runzelte er die Stirn. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Wir … Sie hat mir erzählt … Ich hab nicht gewusst, was ich sagen sollte.«
»Was hat Erika dir erzählt, Kit?«, fragte Gemma, und dabei hatte
sie diesen Blick, der besagte, dass man ihre volle Aufmerksamkeit genoss und dass sie nicht so schnell lockerlassen würde.
Kit rückte sein Besteck zurecht. »Ich hatte sie nach ihrem Vater gefragt. Warum ihr Vater nicht aus Deutschland rausgekommen war … Ich weiß, das hätte ich besser nicht tun sollen.«
Er wartete darauf, dass Gemma ihn tadelte, doch sie runzelte nur die Stirn und fragte: »Warum ist ihr Vater nicht rausgekommen?«
»Er …« Kit musste plötzlich gegen die albernen Tränen ankämpfen, die ihm in die Augen traten. »Er hat abgewartet, weil er nicht die Aufmerksamkeit auf die Flucht von Erika und ihrem Mann lenken wollte.Aber da war es schon zu spät.« Er schluckte, erleichtert, dass er diese Stelle ohne Zittern in der Stimme hinter sich gebracht hatte.
»O nein.« Gemma wirkte betroffen. »Kein Wunder, dass die Brosche, die ihr Vater gemacht hat, ihr so viel bedeutet.«
»Aber das ist noch nicht das Schlimmste.« Kit war jetzt entschlossen, ihr alles zu erzählen, bevor Toby zurückkam. »Ihr Mann wurde umgebracht. Ermordet.«
»Was?«
Er streifte Gemma mit einem Blick, um dann gleich wieder sein gerade ausgerichtetes Messer zu fixieren. Erika hatte es ihm erzählt, während sie hier gesessen und Kaffee getrunken hatten, und sie hatte es auf eine nüchterne und sachliche Art getan, die seinen Neid weckte.Würde er je irgendjemandem erzählen können, dass seine Mutter ermordet worden war, ohne dass ihm die Tränen kamen und er sich total blamierte? In der Schule war er sehr vorsichtig mit dem, was er preisgab, und oft ließ er die anderen in dem Glauben, dass Gemma und Duncan beide seine Eltern seien und sie schon immer zusammen gewohnt hätten. Heutzutage dachte sich ja niemand mehr etwas dabei, wenn Mutter und Kind verschiedene Namen hatten.
Er hörte, wie Toby in der Küche mit Otto sprach, und fuhr leise fort: »Jemand hat Erikas Mann – er hieß David – in einem Park in der Nähe der Albert
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