Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
besucht hatten, aber viel attraktiver machte ihn das auch nicht. Mrs. March hatte ihn von einem der Telefone im Auktionssaal herbeigeholt, und er wirkte nicht sehr begeistert.
»Sie haben sich also wieder gut genug gefühlt, um zur Arbeit zu gehen«, sagte Kincaid, während die Stimme des Auktionators hinter ihnen verhallte.
»Kann’s mir nicht leisten, meinen Job zu verlieren.« Mit einem Schlüssel von einem Bund, den Mrs. March ihm gegeben hatte, schloss Oliver die Tür des Büros auf. »Es ist ja nicht so, als ob ich einfach so gehen könnte, wenn es mir gerade passt.«
»Im Gegensatz zu Mr. Khan.«
Oliver warf Kincaid einen grollenden Blick zu. »Und das Büro hat er auch abgesperrt, sodass ich mir jedes Mal den Schlüssel holen muss, wenn ich irgendein Dokument brauche. Das nervt total, und wozu das Ganze? Einfach nur albern, wenn Sie mich fragen.«
»Ist es denn normalerweise nicht abgeschlossen?«
»Nein. Aber normalerweise sind auch entweder er oder ich oder Kris …« Er brach ab und starrte betroffen vor sich hin, die Finger um den Schlüsselbund gekrampft. »O Mann. Ich kann einfach nicht … Ich denke immer noch, dass sie jeden Moment ins Zimmer kommt oder dass ich ihre Stimme höre.«
»Ich bin sicher, das wird sich mit der Zeit legen.« Kincaids Mitgefühl war echt, und Olivers Haltung entspannte sich ein wenig.
»Ich weiß nicht. Ich bin nicht sicher, ob ich hierbleiben kann, nach dem, was passiert ist. Und es war schon schlimm genug, als Khan noch nicht wie ein brodelnder Vulkan durch das ganze Haus hinwegfegte, wie er es getan hat, seit Sie ihm heute Morgen mit diesem Durchsuchungsbeschluss gekommen sind.« Er nickte Cullen zu, der die Bemerkung als Kompliment aufzufassen schien.
Kincaid setzte sich auf die Kante eines Schreibtischs und kreuzte die Knöchel. Er lud Oliver ganz bewusst ein, sich ihm anzuvertrauen, während Cullen an einem Aktenschrank lehnte und sich alle Mühe gab, unauffällig zu wirken. »Er war also verärgert?«, fragte Kincaid.
»Vielleicht sollte ich besser sagen: ›wie ein Gletscher‹«, meinte Oliver. »Er war eisig – so, wie er immer ist, wenn er kurz davor steht, irgendwem einen donnernden Anschiss zu verpassen.«
»Wie er es mit Kristin am Tag vor ihrem Tod gemacht hat?«
»Genau. Na ja, es war wohl …« Oliver spielte mit den Schlüsseln herum und schien sich plötzlich gar nicht wohl in seiner Haut zu fühlen.Wusste er mehr über diesen Streit, als er zugegeben hatte?
»Sie sagten, Mr. Khan habe Miss Cahill von Anfang an auf dem Kieker gehabt.War es in letzter Zeit schlimmer geworden?«
Einen Moment lang blitzte Berechnung in Olivers Augen auf, dann zuckte er mit den Achseln und sagte: »Also, ich will ja niemanden in Schwierigkeiten bringen, das war noch nie meine Art, aber … aber er war noch strenger mit ihr in den letzten paar Wochen.«
Kincaid wartete, aber Oliver wirkte jetzt verunsichert. Der junge Mann wusste etwas, das er gerne losgeworden wäre, aber offenbar war er nicht bereit, es sich so einfach entlocken zu lassen. Hatte er ein schlechtes Gewissen, fragte sich Kincaid, oder wollte er es einfach nur spannend machen? So oder so, Kincaid war bereit, das Spiel mitzuspielen. »Sie waren Miss Cahills engster Freund hier in der Firma, nicht wahr?«
»Ja, könnte man so sagen. Ich meine, sie hat mit den Mädels geredet, aber nicht so, wie sie mit mir geredet hat.«
»Sie hat sich Ihnen also anvertraut. Hat sie Ihnen gesagt, was da zwischen ihr und Mr. Khan lief? Hatten die beiden etwas miteinander?«
»Kristin und er?« Oliver wirkte geschockt. »Niemals. Sie
konnte ihn nicht ausstehen. Besonders, nachdem …« Er brach wieder ab und schob die Unterlippe vor.
»Nun kommen Sie schon, Mr. Oliver«, sagte Kincaid. Er wusste, dass er jetzt keinen Rückzieher mehr machen würde. »Nachdem was?«
Die Schlüssel klirrten in Olivers Hand, während er hastig hervorsprudelte: »Sie hat ihn erwischt. Khan. Beim Kopieren von Dokumenten. Ich weiß nicht, was es genau war, aber Kristin wusste es, und sie wollte es mir nicht sagen. Khan war total wütend auf sie, und danach hat er sich keine Gelegenheit mehr entgehen lassen, sie zur Schnecke zu machen. Sie meinte, er würde es darauf anlegen, dass sie gefeuert wird.«
Es war schon nach fünf, als Gemma aus der Tür der Polizeiwache trat und blinzelte wie ein Maulwurf, den man am hellen Tag aus seinem Bau gejagt hat. Sie war müde und voller Staub, und ihr brummte der Schädel vom Entziffern der
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