Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
Marcellus?«
Er antwortete nicht, und als ich lauschte, hörte ich ihn ruhig und gleichmäßig atmen.
Ich lächelte. Ich hatte überlegt, mich zu ihm ins Bett zu legen und eine Weile zu plaudern. Ich wollte ihn an mir spüren. Aber es war besser, ihn schlafen zu lassen. Er würde am Morgen früh aufbrechen und hatte einen langen Marsch vor sich.
Doch ich selbst lag noch lange wach und starrte auf die Umrisse von Mondschein und Schatten.
Während Marcellus fort war, kam es zu einer Begegnung mit Rufus.
Ich war zu den Ställen hinaufgegangen und stand mit demQuartiermeister in dem überdachten Eingang zum Getreidespeicher, wo wir die Vorräte inspiziert hatten, als ich Rufus am anderen Ende des Hofes bemerkte. Er führte seine graue Stute am Zügel.
Marcellus konnte das Befinden eines Pferdes schon von weitem erkennen. Ich hatte einiges von ihm gelernt und sah deshalb, dass Rufus’ Stute niedergeschlagen war. Sie lief schleppend, hatte die Ohren zurückgelegt und zog und sträubte sich bei jedem Schritt. Rufus hatte Pferde immer mit warmer Zuneigung behandelt. Ich fragte mich, als ich das Gespräch mit dem Quartiermeister beendete, was daraus geworden war.
Rufus war stehen geblieben und schien einem der Stalljungen Vorhaltungen zu machen. Er entließ ihn mit einem Schubs, riss die Stute am Zügel weiter und drehte zornig den Kopf nach ihr, als sie empört wieherte. Dabei bemerkte er ein wenig erschrocken, dass ich ihn beobachtete.
»Ist sie krank?«, fragte ich.
»Sie ist faul, ein ungeschicktes Miststück. Sie hat ein paar Schläge nötig und muss lernen, wer der Herr ist.«
Ich musterte das traurige, widerspenstige Pferd und dann Rufus. Sein Gesicht war fleckig, seine Augen matt und abgespannt. Und er hatte diesen höhnischen Zug um den Mund bekommen, den jeder in Nevittas Gefolge hatte.
Bei Nevittas übrigen Freunden schien sich das naturgemäß zu entwickeln, als ob sie bei ihrem vulgären Zeitvertreib zu ihrem wahren Charakter fänden. Doch Rufus stand es schlecht zu Gesicht. Er erinnerte mich an ein Kind, das die schlechten Angewohnheiten eines unanständigen Erwachsenen nachahmt. Es betrübte mich, seinen Niedergang zu sehen, und ich dachte voller Zorn an Nevitta, der Rufus angezogen hatte wie die Flamme den Falter, um ihn nach und nach zu derben Vergnügungen zu verleiten, gerade als die inneren Qualen den jungen Mann schwach und orientierungslos machten.
Ich richtete meinen Blick wieder auf die Stute. Dieses einstso prächtige Tier hatte ihn offenbar hassen und fürchten gelernt. Auch der Stalljunge schien das erkannt zu haben. Vielleicht war es bei der Auseinandersetzung zwischen ihm und Rufus genau darum gegangen.
Er war bei mir stehen geblieben, obwohl ich nichts tat, um ihn aufzuhalten. Unruhig trat er von einem Bein aufs andere und warf mir unbehagliche Blicke zu, um sogleich hastig wegzuschauen – auf die Pflastersteine, auf sein Pferd oder die sand-und ockerfarbenen Mauern. Vielleicht hatte er mir angesehen, was ich dachte, und es hatte ihn an damals erinnert.
Ich wandte mich zum Gehen. Es war nicht meine Absicht, mich ihm aufzudrängen. Doch in dem Moment sprudelte es aus ihm hervor: »Ich habe Marcellus gesehen, er war bei Nevittas Bankett. Nevitta hatte ein paar Mädchen aus der Stadt eingeladen, genug für jeden.« Er machte eine derbe Geste, damit ich verstand. »Aber er war an seinem Mädchen nicht interessiert. Als sie sich zu ihm setzte, redete er bloß mit ihr. Nevitta mag Leute, die mitmachen.«
Ich nehme an, dass Rufus nur versuchte, nett zu sein, und dass er mit mir über Dinge plaudern wollte, die ihm gerade in den Sinn kamen. Doch er war schon zu lange bestrebt, Nevittas Korona nachzueifern, sodass seine harmlosen Worte wie ein höhnischer Seitenhieb wirkten. Das schien auch er zu bemerken, denn er senkte beschämt den Blick, und ich sah seine fleckigen Wangen erröten.
»Ja, ich habe davon gehört«, sagte ich. Ich war nicht wütend auf ihn, war aber auch nicht geneigt, mit ihm über Marcellus oder Nevittas Gelage zu reden. Denn jedes meiner Worte würde Nevitta zugetragen.
Deshalb sagte ich nur: »Pflege deine Stute gut, Rufus, eines Tages könnte dein Leben von ihr abhängen.«
Dann ließ ich ihn allein. Ich empfand eine tiefe, allumfassende Traurigkeit und wünschte, ich hätte die Welt für ihn ändern können. Doch man darf einem anderen seine Hilfe nichtaufdrängen, wenn er sie nicht will. Dennoch beschloss ich, ein Auge auf Rufus haben, falls die Zeit käme, wo
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