Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
die er ernannt hat, sich unterwerfen und auf Begnadigung hoffen.«
»Auf Begnadigung?«, rief ich. »Constantius hat gezeigt, was seine Begnadigungen wert sind!«
»Ja, das sagen alle. Er hat uns unter Vorwänden hingehalten und unterdessen seine Truppen zusammengezogen. Er will uns vernichten.«
Wir fanden Julian über den großen Kartentisch in der Bibliothek gebeugt. Nevitta war bei ihm und biss empört die Zähne zusammen. Als wir eintraten, kamen Jovinus und Dagalaif durch die andere Tür herein. Eutherius war ebenfalls dort. Ich hatte ihn zunächst nicht bemerkt. Er saß abseits in einer dunklen Ecke neben einem grellen Sonnenfleck, die großen Hände im Schoß seines türkisfarbenen Gewandes gefaltet.
Obwohl niemand etwas sagte, hatte ich den Eindruck, dass wir in eine Auseinandersetzung hineingeplatzt waren. »Hat Marcellus es dir erzählt?«, fragte Julian an mich gewandt. »Gut. Das ist noch nicht alles, hör zu.«
Er nahm einen dicken, amtlich aussehenden Brief zur Hand, der geöffnet auf dem Tisch lag. Ich erkannte das kaiserliche Siegel. »Unsere Agenten haben ihn abgefangen«, sagte er und reichte ihn mir. »Constantius drängt die Barbaren, ihr Friedensabkommen mit mir zu brechen und in Gallien einzufallen.«
Ich schaute auf den Briefkopf. Er war an einen germanischen Häuptling namens Vadomar gerichtet, der über Gebiete in Rätien herrschte.
»Das tut er nicht zum ersten Mal«, sagte ich und erinnerte an die Zerstörung, die Constantius auf dieselbe Weise in seinem Krieg gegen Magnentius über Gallien gebracht hatte.
Julian nickte aufgebracht. Das brauchte man ihm nicht zu sagen; er hatte fünf Jahre lang versucht, die Schäden von damals wettzumachen.
»Das ist eine vorsätzliche Beleidigung!«, brauste Nevitta mit solcher Vehemenz auf, dass alle ihn erstaunt musterten.
Von seinem Sessel in der Ecke sagte Eutherius gelassen: »Eine Beleidigung vielleicht, aber sie enthüllt ihren Zweck, wenn wir sie mit klarem Kopf betrachten. Mit Vadomar im Rücken kannst du Gallien nicht verlassen, und Constantius weiß das. Er will dich hier festhalten, bis er gegen dich zu Felde ziehen kann.«
Julian wandte sich der Karte zu, die auf dem Tisch ausgebreitet lag. Einen Moment lang überlegte er. »Wie bald können unsere Soldaten an der rätischen Grenze sein?«
»In zehn Tagen«, antwortete Nevitta. Er trat an den Tisch und tippte mit dem Finger auf die Karte, wo die Straße an der Rhone entlang zu den Bergen Rätiens führte. »Die Petulantes kennen sich dort aus. Lass sie von Libino anführen. Er ist bereit … und wir haben schon viel zu lange abgewartet!« Er hob den Kopf und warf Eutherius einen feindseligen Blick zu. »Oder willst du vorschlagen, es selbst jetzt noch hinauszuzögern?«
Den ganzen Winter hatten sie darüber gestritten – Nevitta, der meinte, das Heer solle im Osten angreifen, sobald die Pässe schneefrei seien, und Eutherius, der riet, sich zurückzuhalten, solange man noch auf eine Einigung mit Constantius hoffen könne. Mitten in dieser Auseinandersetzung, in einem jener seltenen Augenblicke, in denen er sich seinen Ärger anmerken ließ, hatte Eutherius zu mir gesagt: »Wirklich, Drusus, unser Freund Nevitta ist kein geborener Zuhörer. Er hat den Westen noch nie verlassen; er kann sich nicht vorstellen, was für eine Streitmacht Constantius befehligt.«
Ich pflichtete ihm bei. Ich sagte nicht, dass Nevitta ihn nicht leiden konnte. Der Heermeister war in der rauen Welt der Grenzkastelle aufgewachsen. Er hatte einen germanischen Vater, doch sein spitzes Mausgesicht und die dunklen Haare hatte er von seiner Mutter, die Gerüchten zufolge eine syrische Kurtisane gewesen sein soll. Seine Erziehung hatte sich aufs Kämpfen und Töten beschränkt. Er betrachtete Eutherius als einen grotesken Angriff auf die Natur; die geschmeidige Ausdrucksweise, das geschlechtslose Auftreten und die leuchtenden Kleider Eutherius’ verstießen auf geradezu empörende Weise gegen Nevittas Vorstellung von Männlichkeit.
Natürlich achtete er darauf, dass Julian nichts davon bemerkte; seine Verstellung in dessen Gegenwart war die einzige Art von Selbstbeherrschung, die ich je an Nevitta beobachtenkonnte. Unter seinen lauten, Bier trinkenden Freunden war er nicht so vorsichtig, wie Marcellus wusste, da er schon selbst dabei gewesen war.
Eutherius dürfte es ebenfalls gewusst haben, denn er versuchte stets zu erkennen, was sich hinter den Untertönen schlechter Gesinnung verbarg. Doch er war zu
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