Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
ich dachte an die höhnischen Zurufe, die ich eben gehört hatte. Ein übler Gedanke stieg in mir auf. Ich schluckte und sah Marcellus an.
»Sie haben es nicht aus eigenem Antrieb getan«, schloss ich bitter. »Die Männer sind beeinflusst worden. Jemand will Julians Autorität untergraben, ohne Rücksicht auf die Folgen.«
Beim ersten Morgengrauen verlangte Julian, dass sein Pferd für einen Ritt bereitgemacht werde. Er wollte keine Widerrede dulden, war restlos entschlossen. Ohne Umweg ritt er zur nächsten fränkischen Siedlung – einer Ortschaft, deren Bewohner kürzlich versprochen hatten, Frieden zu halten –, hielt vor dem Eingang und verlangte den Häuptling zu sprechen.
Er hatte nur wenige von uns mitgenommen: Severus, Marcellus, mich und zwei andere. Die Übrigen waren auf sein Beharren hin im Lager geblieben.
Es folgte ein unbehagliches Warten. Vor den Hütten unterbrachen die großen, düster blickenden Weiber und ihre blonden Kinder ihr Tun und starrten uns böse an. Nach einer Weile kam jemand aus dem niedrigen Langhaus des Häuptlings, ein weißhaariger Greis, der sich auf einen dicken Eichenstab mit Schnörkeln und Drachenköpfen stützte. Er hatte sechs junge, mit Schwertern bewaffnete Männer in schwerer Lederrüstung bei sich.
»Ich bin hier, um gemäß unserem Abkommen Getreide zu holen«, erklärte Julian.
Der Häuptling schüttelte den Kopf. Ob zur Ablehnung oder weil er nichts verstand, war nicht zu erkennen.
Doch Julian war nicht in der Stimmung, sich abweisen zu lassen. Er schritt zu einer Frau, die auf einem niedrigen Schemel an einem Mahlstein saß. »Das!«, rief er, griff in den Korb und ließ die Körner durch seine Finger rinnen.
Aus den umstehenden Hütten kamen immer mehr bewaffnete Männer, stumm, aber drohend, mit Schwertern in den Händen – alte römische Schwerter, wie ich bemerkte. Der weißhaarige Häuptling machte eine unscheinbare Geste, und die Männer verharrten wie gut abgerichtete Hunde. Er musterte Julian mit scharfen, kobaltblauen Augen; dann räusperte er sich laut, bewegte den Mund und spuckte in den Schlamm.
»Was sollen wir essen, Römer, wenn du unser Getreide mitnimmst?«
»Ich verlange nur einen Teil von dem, was ihr habt. Ich werde es euch doppelt zurückzahlen. In Getreide oder in Gold. Mein Wort darauf.«
Unter den Männern erhob sich Gemurmel. Sie verstanden also Latein, wenn sie wollten.
Der Häuptling musterte uns. Er musste erraten haben, dass wir allein und folglich in der Unterzahl waren. Vielleicht wog er ab, ob er uns als Geiseln nehmen oder wegen der Rache, die gewiss folgen würde, besser darauf verzichten sollte. Vielleicht stellte er aber auch den persönlichen Mut, den wir bewiesen, über alles; so wurde es den Germanen nachgesagt.
Auf jeden Fall gab seine Miene nichts preis.
»Gold können wir nicht essen«, wandte er ein.
»Dann sollt ihr Getreide bekommen.«
»Und werdet ihr daran noch denken, wenn ihr wieder fort seid? Ich glaube es nicht.«
»Ich werde daran denken.«
Der Häuptling blickte Julian lange forschend an, wie ein Mann, der die Miene eines Fisches zu durchschauen versucht. Julian hielt dem Blick ruhig stand. Angespannte Stille herrschte. Schließlich hob der Greis mit unvermuteter Kraft seinen Eichenstab, zeigte zum Himmel und redete in seiner Sprache zu den Umstehenden. Von den jungen Männern kam unzufriedenes Gemurmel, das er mit einer Armbewegung abschnitt.
Dann wandte er sich Julian zu. Er lächelte nicht, doch unter den buschigen weißen Brauen sah man eine Spur Belustigung.
»Ihr sollt euer Getreide haben«, beschied er.
Bis wir ins Lager zurückkehrten, regnete es. Derweil hatte sich die Neuigkeit herumgesprochen, und eine beschämte Abordnung von Soldaten wartete vor Julians Zelt.
Es waren zu viele, als dass sie alle ins Zelt hineingepasst hätten; deshalb empfing er sie draußen und stand mit ihnen im Regen. Er hätte sie mit zu dem Dorf nehmen sollen, sagten sie tadelnd; er habe sein Leben für sie aufs Spiel gesetzt. Wie könne er sich in solche Gefahr begeben und sie zurücklassen?
Es gab Tränen und Umarmungen, und hernach reichte Julian jedem Mann eine Münze aus seinem spärlichen Besitz. Es war nicht mehr als ein Pfand, doch als die Männer sich zum Gehen wandten, drängte plötzlich jemand nach vorn. Es war Gaudentius. Mit lauter, diensteifriger Stimme verkündete er: »Es verstößt gegen das Gesetz, wenn ein Cäsar den Soldaten Sonderzahlungen gewährt.«
Julian drehte sich um und
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