Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
Vom Netzwerk:
er schließlich angefordert habe. Und warum der Präfekt nicht gekommen sei, wollte er wissen. Die verbliebenen Truppen seien noch in ihren abgelegenen Winterquartieren; er könne nicht länger warten. Julian selbst müsse den Befehl erteilen, dass sie sich in Paris einzufinden hätten.
    Bei dem Wortwechsel war Julian mit ihm allein. Als er Oribasius und mir später davon berichtete, sagte er: »Er wirft mir vor, dass ich nicht mit ihm an einem Strang ziehe. Er gibt mir die Schuld an dem Ärger mit den Frauen und sagt, ich täte besser daran, dem Kaiser meine Treue zu beweisen. Er macht sich nicht einmal die Mühe, seine Drohung zu verschleiern.«
    Er seufzte und machte eine hoffnungslose Geste. Dabei sah er plötzlich sehr jung aus, fand ich, wie ein unglücklicher Knabe. »Bei Gallus war es genauso«, sagte er.
    Gallus war sein älterer Bruder gewesen. Auch er war in Abgeschiedenheit aufgewachsen, auf einem abgelegenen Gut in Asien – bis Constantius beschloss, dass er ihn brauchte. Er erhob ihn, der zum Herrschen nicht erzogen worden war, zum Cäsar, wie zuletzt auch Julian. Doch da endeten die Gemeinsamkeiten der beiden Brüder. Gallus’ Charakter war nicht durch gute Erziehung geschliffen und geformt worden. Da niemand ihm Mäßigung beigebracht hatte, war er machttrunken geworden, bis Constantius ihn schließlich aus dem Amt entfernte, indem er zuerst seine Truppen abzog und ihn dann zu »Beratungen« an den Hof rief. Die Beratungen waren eine Lüge gewesen: Unterwegs wurde er verhaftet, ohne Prozess verurteilt und enthauptet.
    Julian erwähnte ihn selten. Ich nehme an, dass es ihn beschämte. Dennoch war Gallus sein Bruder und bei all seinen Fehlern sein letzter Verwandter gewesen.
    Ins Griechische wechselnd sagte er leise: »Und er fiel durch blutigen Tod und mächtiges Verhängnis.«
    »So heißt es bei Homer«, sagte Oribasius. »Aber das ist nur dann dein Schicksal, wenn du es wählst.«
    Julian hörte ihm zu, erwiderte aber nichts. Lange Zeit stand er schweigend am Fenster und blickte in den Hof und auf die kahlen Obstbäume. Im Westen kam Wind vom Meer auf, brachte die Wolken in Bewegung und trieb den Regen fort. Immer breiter drangen die Sonnenstrahlen durch und verbreiteten goldenes Licht.
    Julian war tief in Gedanken versunken. Schließlich drehte er sich mit einem kaum merklichen Nicken zum Zimmer hin um und blickte zum Tisch. Dort lag vergessen die Karte mit der Rheingrenze. Einen Moment lang betrachtete er sie wie ein alter Mann, der an seine Jugend zurückdenkt.
    »Es wird bald Frühling«, sagte er. »Ich hatte große Pläne.«
    Oribasius setzte zum Sprechen an, doch Julian hob die Hand.
    »Nein, mein Freund, ich weiß, was du denkst. Du brauchst es nicht zu sagen. Wir haben getan, was wir tun mussten, und wir wissen beide, dass es Verrat bedeutet, sich dem Kaiser zu verweigern. Es ist besser, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun.«
    Nicht lange danach sah ich bei meiner Rückkehr von einer Erledigung Marcellus im Garten der Zitadelle. Rufus war bei ihm.
    Seit er zu Nevitta gewechselt war, hatte ich ihn kaum gesehen. Es erschütterte mich, wie sehr er sich verändert hatte. Nevittas Männer waren laut und prahlerisch, und Rufus hatte ihr nassforsches Auftreten übernommen. Es stand ihm schlecht. Und seinem blassen, unausgeschlafenen Gesicht nach zu urteilen, hatte er sich auch in ihre Gewohnheit hineinziehen lassen, nächtelang zu trinken. Seine jugendliche Frische war verschwunden. Seine schwarzen Locken hatten den Glanz verloren.
    Marcellus stand mit dem Rücken zu mir. Es war Rufus, der mich als Erster bemerkte.
    »Drusus!«, rief er mir entgegen. »Hast du schon gehört? Ichwar gerade dabei, es Marcellus zu erzählen. Julian hat die Männer aus den Winterquartieren herbefohlen.«
    »Tatsächlich?«, sagte ich vorsichtig.
    »Ja, und das ist noch nicht alles. Hör dir das an: Die Anweisung stammt von diesem dummen Notar … wie heißt er gleich? Decentius? Es wird Ärger geben. Das ist Nevittas Meinung.« Er lachte laut wie über einen Kasernenwitz; dann fuhr er fort: »Nevitta sagt, Julian ist dagegen, aber der Notar will nicht auf ihn hören. Ist das wahr?«
    Ein Stück entfernt war ein Schreiber, der soeben den Garten durchquert hatte, stehen geblieben und schaute zu uns herüber. Ich runzelte die Stirn und wünschte mir, Rufus würde leiser sprechen. Wusste er denn nicht, dass die Zitadelle zur Brutstätte von Intrigen geworden war? Hinter den Säulen und geschlossenen Fensterläden

Weitere Kostenlose Bücher