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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
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brüllten die Männer immer wieder.
    Ich blickte Marcellus an. Reden war nicht nötig. Ringsumher stießen die Männer die Fäuste in die Höhe und brüllten aus Leibeskräften die schreckliche Phrase, die nicht zurückzunehmen war und mit der sie Julian zum Kaiser ausriefen und ihn aufforderten, sich zu zeigen.
    Ein Soldat neben mir fragte seinen Nebenmann: »Wo ist er? Wieso kommt er nicht?« Sein Kamerad, ein narbiger Gallier mit Zahnlücken, antwortete lachend: »Schlafen wird er jedenfalls nicht. Nicht jetzt.«
    Und weiter ging das Skandieren. Es war wie beim Wagenrennen, wo jeden die Inbrunst der Anfeuerungsrufe packt und wo man eins wird mit der Menge, wo sich aus vielen Seelen eine mächtige Bestie bildet, die nur einen Willen hat.
    So ging es über Stunden. Der Lärm schwoll an und ab wie ein Sturm, und wir saßen darin fest. Dann, als die Fackeln über dem Torweg heruntergebrannt waren und der erste rote Schimmer des Morgens am Himmel erschien, brachen die vordersten Reihen in Jubel aus. In den breiten Türflügeln hatte sich die kleine Tür geöffnet, und auf dem Balkon über der Treppe erschien Julian.
    Die Petulantes waren aufgrund ihrer germanischen Herkunft allesamt große Männer, und ich hatte Mühe, über ihre breiten Rücken hinwegzuschauen. Doch ab und zu, wenn sich die dichte Menge bewegte, konnte ich ihn kurz sehen, wie er mit erhobenen Händen um Ruhe bat und versuchte, sich trotz des Gebrülls Gehör zu verschaffen. Doch die Akklamation wurde nur umso lauter. Ich sah ihn den Kopf schütteln und Zeichen geben, die Männer möchten ihm zuhören, aber nach einer Weile, als er die Vergeblichkeit einsah, ließ er die Arme sinken und wartete, bis die Vordersten schließlich die Hinteren zum Verstummen brachten. Dann endlich konnte er zu ihnen sprechen. Er klang zögerlich, sogar erschüttert. Ob aus Zorn oder Rührung oder aus Angst, war schwer zu sagen.
    Sie seien gute Männer und hätten Rom tapfer gedient, sagte er. Sie hätten gemeinsam Entbehrungen durchgestanden und Siege errungen, hätten gegen die Franken und Alemannen und andere germanische Stämme gekämpft und sie bis hinter die Grenze zurückgedrängt. Nun, da Gallien wieder sicher sei, dürfe man das Erreichte nicht gefährden. Ihren Forderungen könne entsprochen werden, dessen sei er sicher, doch wenn sie nicht aufhörten, brächten sie nur Verderben über sie alle.
    Kurz schwieg er, und in der kalten Luft des frühen Morgens war sein Atem zu sehen. Die Männer blickten ihn störrisch an.»Ich gebe euch mein Wort, dass ihr nicht gezwungen werdet, eure Heimat gegen euren Willen zu verlassen. Ich werde beim Kaiser für euch sprechen. Er wird gewiss darauf hören. Aber nun müsst ihr in euer Quartier zurückkehren.«
    Einen Moment lang herrschte enttäuschtes Schweigen. Dann brüllten sie. Es war kein Jubel, sondern ein gewaltiges, aufsässiges »Nein!«.
    Eine einzelne Stimme in der Mitte stimmte erneut die Akklamation an: »Julian Augustus! Julian Augustus!« Sie wurde rasch aufgegriffen. Die Rufe wurden lauter, wütender, drohender, klangen wie eine wilde, schreckliche Melodie.
    Bis dahin war Julian darüber hinweggegangen, vermutlich in der Hoffnung, die Männer würden abziehen und die Sache könne einfach vergessen werden. Alles andere – ihr Protest, die aufkeimende Meuterei, der Ungehorsam und die Trunkenheit – konnte mit guten Gründen erklärt und verziehen werden. Die Akklamation jedoch würde Unheil bringen.
    Als das Getöse wieder anschwoll, gab Julian den Versuch auf, die Menge zu beruhigen, und stand mit gebeugtem Kopf da. Die Männer um mich her grinsten oder lachten einander an, dass man ihre Zähne und roten Mundhöhlen sah, aber es klang nicht freudig; stattdessen ergötzten sie sich an ihrer verhängnisvollen Macht. Es schien, als nähme es kein Ende. Dann aber, als die letzten Sterne am Himmel verblassten, erscholl vorn ein Schrei. Plötzlich wogte die Menge voran, und wir wurden mitgerissen wie Laub von einem Strom. Ich reckte den Hals und sah es. Oben auf der Treppe gab Julian mit ausgestreckten Armen das zeitlose Zeichen der Anerkenntnis, mit dem er die Akklamation doch noch annahm.
    Sofort brandete wilder Jubel auf.
    Schon stiegen Männer die Stufen zu dem kleinen Balkon hinauf, wo der Cäsar stand, und rempelten einander beiseite, um der Erste zu sein. Sie umringten und packten ihn. Kurz verschwand er in der Flut drängelnder Leiber. Dann wurde erüber ihre Schultern gehoben und getragen. Jemand brachte einen

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