Wen die schwarze Göttin ruft
Stimme wurde ganz klein. Sie sitzt schon in seinem Herzen, dachte sie bitter. Die goldene, kalte Maske!
»Natürlich nicht.« Er streichelte ihr Haar. Sie spürte es, aber sie empfand dabei nichts als Leere. »Hier bist du sicher, Vroni.«
»Danke.«
Ein Danke, wie man es hundertmal sagt, wenn einem etwas Belangloses überreicht wird.
»Ich habe gesagt, daß du in Krankenpflege ausgebildet bist.«
»Das stimmt doch gar nicht.« Sie hob den Kopf. »Ich habe keine Ahnung davon.«
»Du wirst es schnell lernen. Ich erkläre es dir. Eigentlich brauchst du nichts anderes zu tun, als neben Sikinophis zu sitzen, wenn ich einmal schlafe. Wir werden uns abwechseln mit den Wachen. Der Junge darf keine Minute ohne Aufsicht gelassen werden. Vor allem die ersten zwei Wochen.«
»Zwei Wochen?« Ihr Körper zog sich zusammen, als befiele ihn plötzlich Eiseskälte. Er denkt gar nicht daran, dieses fürchterliche Land zu verlassen! Er rechnet mit Wochen, vielleicht mit Monaten, vielleicht mit immer – – – Hat sie ihn schon so fest in der Hand – diese Frau aus eisigem Gold?
»Ich freue mich«, sagte sie. Aber ihre Stimme klang traurig. Alex hörte diese feine Nuance nicht mehr.
»Ich mich auch«, antwortete er. Er küßte sie, aber es sprang plötzlich kein Funke mehr über. Ein Kuß wie unter guten Bekannten beim Wiedersehen oder beim Abschied.
»Vielleicht gelingt es mir, auch die anderen herüberzuholen«, sagte er und stand auf.
»Sicher! Du bist jetzt ein mächtiger Mann.« Es klang bitter. Sie setzte sich im Bett auf und legte die Hände in den Schoß.
»Fühlst du dich schon stark genug, mitzukommen und den Jungen zu begrüßen?« fragte er.
Veronika nickte und schwang die Beine auf den Steinboden. Ihr Sohn, dachte sie. Über ihren Sohn erobert sie Alex. Und entsetzt stellte sie fest, daß sie auch auf den Jungen eifersüchtig war, ohne ihn zu kennen!
Sikinophis saß aufrecht im Bett und hatte sich Hubers Membranstethoskop in die Ohren geklemmt. Interessiert hörte er seinen eigenen Herzschlag. Huber blieb an der Tür stehen.
»Wer hat dir das gegeben?« sagte er streng. Der Junge lächelte selig und hielt ihm die Membrane hin.
»Ich habe es mir geholt.«
»Und ich habe dir verboten, das Bett zu verlassen und zu gehen! Leg das Stethoskop hin! Ein für allemal, Sikinophis: Wenn ich etwas anordne, dann gilt das und wird nicht übertreten! Noch einmal so ein Blödsinn, und ich verhaue dir den Hintern! Verstanden?«
Der Junge warf das Stethoskop aufs Bett und hob trotzig den Kopf. »Ich bin der Sohn der Sonne!« sagte er.
»Du bist ein Lausejunge, weiter nichts! Ich dachte, wir sind uns einig? Sind wir Freunde oder nicht?«
»Das sind wir, aber …«
»Hier gibt's kein Aber!« Huber winkte energisch ab. »Ich bin jetzt verantwortlich für dich! Sikinophis, mach mir keinen Kummer und sei gehorsam! Es geht um unser Leben!« Er wandte sich an Veronika, die noch im Gang draußen stand. »Siehst du, wie notwendig es ist, daß immer jemand bei ihm ist?« sagte er auf deutsch. »Eine halbe Stunde war ich weg, und schon geht der Tanz los!«
»Er ist herrisch wie seine Mutter!« sagte Veronika.
»Nein, er ist ein Junge wie alle Jungen.«
Er verteidigt sie bereits, dachte Veronika voll Bitterkeit. Sie kam ins Zimmer, mit dem festen Willen, diesem Jungen nicht einen Funken Sympathie zu gönnen. Aber dann sah sie den blonden Lockenkopf, die schönen blauen Augen, und es war auch ihr unverständlich, daß diese kalte Frau so ein Kind hatte gebären können. Der Junge betrachtete Veronika mit geneigtem Kopf, er musterte sie wie einen interessanten Gegenstand.
»Du bist das also?« sagte er unvermittelt. »Weil es dich gibt, liebt mein Freund nicht meine Mutter.«
Es war wie ein Blitz, der Veronikas Haß und Eifersucht, ihre Angst und Resignation zerschlug. Von diesem Augenblick an begann sie den Jungen zu lieben wie ihren eigenen Sohn.
Am Abend kam Dombono. Sikinophis hatte gegessen – zwei untere Priester bedienten ihn –, und Doktor Huber hatte zuerst von jeder Speise gekostet. Die Tradition des Giftmordes stirbt nie aus.
»Wie sind Ihre Untersuchungen ausgefallen?« fragte Dombono. Veronika, die auf Sikinophis' Bett saß und mit ihm ein urapisches Brettspiel spielte, das der Junge ihr erklärt hatte und die mathematische Logik schulte, beachtete er nicht.
»Sehr gut. Der Junge ist kerngesund bis auf sein Bein. Der Operationstermin kann eingehalten werden. Übermorgen früh.«
»Soll Doktor Stricker
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