Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch
schon darauf gefreut, dass Maiken sein Bein betatschen würde. Die aber konnte sich sichtlich Schöneres vorstellen.
Und dann hatte ich einen Geistesblitz. Aus welchem dunklen Winkel meines Gehirns er entsprungen war, ist mir immer noch unklar, aber kaum gedacht hatte ich ihn schon ausgesprochen.
»Ich hab mal von einer Hochzeit gehört, da musste die Braut ihren Mann an einem Kuss erkennen.« Ich rupfte ein paar Grashalme aus und machte ein unschuldiges Gesicht.
»An einem Kuss? Glaub ich nicht, dass das geht!«, sagte Benny.
»Sie hat’s aber geschafft! Und so schwer ist das wirklich nicht. Ich könnte das auch. Ein Kuss ist so charakteristisch wie ein Fingerabdruck, dabei kann man sich nicht verstellen«, sagte ich so beiläufig, als hätte ich schon so unendlich viele Typen geküsst, dass ich damit locker bei »Wetten dass« zur Saalwette antreten könnte: Wetten, dass Lilia Kirsch alle männlichen Bewohner der Stadt, in der sie lebt, am Kuss erkennt?
Dana sah mich aufmerksam an. Sie ist ja nicht blöd. Und dannsagte sie: »Ich wette dagegen. Du schaffst es bestimmt nicht mal, diese Knaben hier am Kuss auseinanderzuhalten.«
»Um was?«, fragte ich.
Die Jungs waren ganz still.
»Wenn du das schaffst, schreib ich dir dein Bio-Referat.« Das war ein Opfer. Dana hasst Biologie.
»Okay!«, sagte ich.
»Und wenn du es nicht schaffst?«, fragte Maiken.
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Darüber müssen wir nicht reden, ich schaff das.«
»Wenn du danebenliegst, färbt Maiken dir auch lila Haarsträhnen.« Dana grinste, sie wusste genau, dass ich in diesem Moment alles unterschrieben hätte.
Ich kannte mein Risiko, denn wenn nicht einer der Knaben ordentlich Knoblauch gegessen hatte, einer Pfefferminz und einer ein Fischbrötchen, dann waren meine Chancen auf einen Sieg minimal.
Aber ein paar lila Haarsträhnen – konnte das denn so schlimm sein? Maiken hatte den ganzen Kopf voll davon und sah ausgesprochen vergnügt damit aus. Ich nickte also. Dann sah ich den Flokati an. »Du nicht!«, sagte ich zu meinem Brüderchen, »dich küss ich nicht.«
»Ich werde darüber hinwegkommen«, knurrte der.
Dana übernahm die Organisation. Sie verkündete, dass ich erst jeden der drei Knaben sehenden Auges küssen müsste, um deren »Kussprofil« kennenzulernen. Anschließend würde sie mir die Augen mit ihrem Halstuch verbinden und ich müsste jeden noch einmal küssen, natürlich in veränderter Reihenfolge. Und jetzt kam der Augenblick der Wahrheit.
»Lilia, stell dich hier unter die Kastanie«, kommandierte Dana. »Das ist sehr romantisch und wenn du dich an den Stamm lehnst, fällst du auch nicht um, falls du weiche Knie bekommst. Und dann Jungs, bitte antreten.«
Irgendwie kam mir die Sache plötzlich doof vor und ich bereute meine große Klappe, aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
Okay, da kamen sie, zum Glück dämmerte es schon und man konnte nicht sehen, wie rot sich meine Rübe verfärbte.
Erst stand Tom vor mir, der genervt wirkte und den Kuss ganz schnell hinter sich brachte. Bisschen feucht, aber ganz okay. Ich versuchte, mich auf seinen Geruch zu konzentrieren, aber er war viel zu schnell wieder weg und so nahm ich nur einen Hauch Rasierwasser wahr. Danach kam Benny. Seine Lippen hatte ich heute ja schon genau betrachtet. Er blieb cool, nahm mich mit beiden Händen bei den Schultern, beugte sich vor und küsste mindestens zwei Sekunden lang, also immerhin doppelt so lang wie Prinz William nach der Trauung in Westminster seine Kate. Er roch nach – Rasierwasser. Und zuletzt kam Jakob. Stellte sich breitbeinig vor mich hin. Sah mir herausfordernd in die Augen. Nahm mein Gesicht in beide Hände und küsste mich zart auf den Mund.
Uffta. Uffta. Uffta. Irgendetwas wummerte in meinen Ohren. War das mein Herz?
An meinem Rücken spürte ich den Stamm der Kastanie. Zum Glück gab der Baum mir Halt, sonst hätte es mich vielleicht wirklich umgehauen. Noch immer spürte ich Jakobs Lippen auf meinen. Jemand rief »hey, hey, hey«. Tom? Jakob ließ seine Hände sinken und gab mich frei, widerwillig, wie mir schien. Der Flokati pfiff anerkennend.
»Da gab es schon Unterschiede«, meinte er.
»Beim nächsten Mal Hände auf den Rücken, Jungs, sonst ist es zu leicht«, befahl Dana und verband mir die Augen. Fieberhaft überlegte ich, wonach Jakob gerochen hatte, aber ich erinnerte mich nur an seine weichen Lippen und dass die Zeit still gestanden hatte und dass ich …
»Die zweite Runde«, ordnete Dana
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