Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch
an.
Ich lehnte mich an den Baum, hielt mich mit beiden Händen am Stamm fest und wartete.
Was machten die da? Warum dauerte das so lang? Ich hörte Schritte, Geraschel und Gerangel. Jemand murmelte: »Lass das, du Idiot!« Sie stritten sich wohl um die Reihenfolge. Mir kam’s ewig vor, aber vielleicht lag das an den verbundenen Augen. Kurz überlegte ich, ob sich jetzt einfach alle wegschleichen und mich hier mit verbundenen Augen stehen lassen würden. Was für eine Blamage! Dann spürte ich aber, dass jemand vor mir stand. Ich hörte ihn atmen. Und ich fühlte Lippen auf meinem Mund. Sie waren trocken und warm. Der anonyme Küsser schnaufte ziemlich laut. Er roch nach Freiheit und Abenteuer. Benny?
»Das war Nummer eins«, verkündete Dana unnötigerweise. Füße trappelten, Rascheln, man hörte einen Rums und jemand zischte leise etwas, das ich nicht verstand. Dann war wieder jemand vor mir, küsste mich weich und zart und roch – nach Freiheit und Abenteuer. Also, jetzt war ich doch ziemlich sicher, dass das Benny war. Also war der Erste wohl Tom gewesen.
»Nummer zwei«, trötete Dana.
Der Dritte näherte sich rasch. Er blieb einen Moment vor mirstehen. Ich überlegte, ob er jetzt auf meine Lippen sah, und bemühte mich, sie nicht zu spitzen. Dann ein Kuss, mit leicht geöffnetem Mund. Sanft und doch drängend. Ich krallte die Finger in die Baumrinde und küsste zurück. Und küsste und küsste.
»Und das war Nummer drei«, verkündete Dana, und da erst merkte ich, dass der Kuss vorbei war und ich wieder allein unterm Baum stand.
»Dieselbe Reihenfolge wie beim ersten Mal«, sagte ich. »Tom, Benny, Jakob.« Ich nahm die Augenbinde ab und spähte in die Dämmerung.
»Wann soll ich dir die Strähnen färben?«, fragte Maiken.
»Och nööö!«, sagte ich enttäuscht und ließ mich auf die Wiese fallen. Die anderen setzten sich auch wieder hin. Trotz der Dunkelheit konnte ich deutlich erkennen, dass sie grinsten.
»Ihr blufft«, motzte ich. »Gebt’s zu, ich lag doch richtig.« Irgendetwas war hier faul, das merkte ich deutlich. Die hatten alle kein reines Gewissen, keiner sah mich richtig an.
»Nein«, sagte Dana bedauernd. »Du hast wirklich nur einen richtig geraten. Bei den anderen lagst du total daneben.«
»Aha«, sagte ich. »Und wen habe ich erkannt?«
»Das sagen wir dir nicht«, antwortete Tom.
»Spinnst du? Warum?«
»Na, vielleicht wollen wir das Spiel ja irgendwann noch mal wiederholen«, grinste er. »Wär doch cool, wenn du danach auch noch grüne Haarsträhnen hättest.«
Irgendwie war die Stimmung jetzt in einer Flaute. Keiner sagte was, alle starrten auf den Fluss, als wären die Blätter, die dort langsam und träge an uns vorbeiglitten, wahnsinnig interessant.Ich war ganz froh um die Pause, denn ich war immer noch ganz zittrig.
»Ich muss jetzt los«, sagte Jakob irgendwann und stand auf.
»Ja, wir sollten auch aufbrechen«, meinte der Flokati. Ich sprang sofort auf und quengelte nicht. Auf einen einsamen Heimweg mit Benny hatte ich keine Lust mehr.
Und hier sitze ich nun an meinem Schreibtisch in meinem Zimmer und an Schlaf ist überhaupt nicht zu denken. Ich fühle immer noch Jakobs Lippen auf meinen.
Dass ich so einen Satz einmal schreiben würde – wer hätte das gedacht? Wie ist es eigentlich dazu gekommen? Kenne ich jetzt die Regeln? Ist es das? Einfach alles nicht so ernst nehmen? Einfach drauflos? Ist alles nur Spiel?
Betreff: Und ich sag noch zu mir: Tu das nicht!
Datum: 25.05., 23:19 Uhr
Von: Tom Barker
An: Felix von Winning
Katastrophe!!!
Mann, warum bist du in Bad Hüftkrank oder wie das Kaff heißt und nicht hier? Du hättest mich davon abgehalten und das wäre gut gewesen. Sehr gut! Aber du bist nicht hier und keiner hat mich abgehalten und jetzt habe ich’s verbockt.
Shit!!!
Ich habe sie geküsst.
Okay, wo ist das Problem, denkst du jetzt. Und wenn ich dir dann auch noch erzähle, dass ich sie nicht nur einmal geküsst habe, sondern vier Mal, hältst du mich bestimmt für einen Liebesgott.
Trottel trifft es eher.
Es war eine Wette. Sie wollte mit verbundenen Augen herausfinden, wer sie küsst. Erst sollten wir sie ganz normal sehenden Auges küssen, damit sie weiß, wer wie knutscht, und danach noch mal, ohne dass sie uns sieht. Ich, Jakob und dieser Vollhorst Benny. Aber wie ich so zugucke, wie der Kerl ihr immer näherkommt und sich dann unnötig lang an ihr zu schaffen macht, da ist bei mir ’ne
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