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Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Titel: Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Andeck
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gestern Abend in Selbstbräuner gesuhlt. Das pinkfarbene Top betont ihren Teint, ihre hellblonden Haare, die gestern noch dunkelblond waren, hat sie im Nacken zu einem Ballerina-Knoten geknödelt. An den Ohren baumeln schulterlange Strassfäden und dauernd wirft sie den Kopf lachend zurück, nur damit die glitzern und funkeln.
    Im Unterricht geht es gerade um Rüstungswettlauf und das passt: Zicky hat aufgerüstet.
    14.00 Uhr Ich hatte echt einen suboptimalen Vormittag und das gleich aus mehreren Gründen:
    – weil Jakob mich überhaupt nicht beachtet hat. (Übrigens als einziger. Für die anderen Jungs bin ich plötzlich sehr interessant, seit Benny so vor mir rumgockelt!)
    – weil Vickyzicky super aussah.
    – weil ich einen Pickel am Kinn hatte und es nicht bemerkt habe (als einzige).
    – weil ich in Englisch den Satz »For whom the bell tolls« mit »wem das Telefon klingelt« übersetzt habe. Es heißt aber »wem die Stunde schlägt«.
    – weil Jakob mich ausgerechnet in diesem Moment beachtet hat. Er hat gelacht. Ich nicht (als einzige).

    Am schlimmsten war dieser Tag aber nach dem Unterrichtsende. Ich seh es noch vor mir: Vicky im Super-Mini, glitzernd und funkelnd, trat durch die Schultür. Sie schwenkte den Hintern wie ein Model und tänzelte über den Pausenhof an den Fahrrädern vorbei, wo Jakob gerade kniete und sein Rad aufschloss. Sie war nicht grau und unscheinbar wie erfolgreiche Weibchen im Tierreich, und sie sah auch nicht desinteressiert weg. Sie winkte ihm zu und rief »Hi Jake!«, wieder mal mit ihrer ganz hohen Stimme.
    Sie balzte! Und sie machte alles falsch!!!
    Und was tat er? Radelte ihr nach, bremste quietschend neben ihr, sprang ab, schob sein Rad und zusammen verließen sie mein Blickfeld. Das widerspricht allen wissenschaftlichen Regeln. Seine Gene, seine Hormone, seine Instinkte, alles hätte ihn davon abhalten müssen.
    Was ist da los?
    Vor ein paar Stunden war ich so happy, und jetzt bin ich total down. Meine Ausstrahlung ist dermaßen negativ, dass ich Angst habe, die Maiglöckchen auf meinem Fensterbrett könnten verwelken.
    Au weia! Höre Schritte auf der Treppe. Es klopft.
    Nur Paps klopft bei uns an Türen, alle anderen reißen sie auf und stürzen ins Zimmer wie Naturgewalten.
    Was will denn der? Egal – ich stell mich tot. Ich will jetzt keinen sehen.
    16.00 Uhr Da wollte ich ungestört traurig sein, und dann das! Familienkonferenz, diesmal in Minimalbesetzung. Der Teilnehmerkreis bestand nur aus Paps und mir, Mama und Florian waren nicht da. Aber aufschieben konnte Paps das Gespräch nicht, dazu war er viel zu aufgeregt. Eben hatte nämlich Rosalies Lehrerin angerufen und gesagt, es gebe da ein Problem. Und so etwas macht Paps nervös, mit Problemen kann er nicht umgehen.
    Wir setzten uns ins Wohnzimmer an den großen Esstisch und sprachen mit gedämpften Stimmen, denn Rosalie saß vorm Fernseher und sah wieder mal ihre Sesamstraße- DVD . Sie sollte nicht hören, was wir sprachen. Leider hörten wir auch kaum, was wir sprachen, denn der Fernseher war so laut.
    Ich wäre lieber in die Küche gegangen, mich nervte der Geräuschpegel, aber Paps sagte, man dürfe Fünfjährige nicht allein vorm Fernseher sitzen lassen, man müsse ihnen immer als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, falls sie Hilfe beim Verarbeiten des Gesehenen benötigen sollten.
    Ich hätte am liebsten laut gelacht! Rosalie nudelt diese DVD seit Wochen von morgens bis abends rauf und runter. Sie braucht keine Hilfe beim Verarbeiten des Gesehenen.
    Sie nicht. Ich schon! Ein Psychiater wäre schön. Oder jemand, der mich ein paar Tage in Untersuchungshaft nehmen könnte, damit ich diesen Placido Flamingo nicht mehr hören muss.
    Liebe Nachkommen, nur zu eurer Info: Placido Flamingo ist ein rosarotes Zotteltier, das in der Sesamstraße mit der Stimme eines Heldentenors das »Lied vom Telefon« singt. Dauernd hört man in dem Lied Telefongeklingel und das ist nicht schön für jemanden, der sich an diesem Tag mit einem Satz über ein Telefon unsterblich blamiert hat. Wenn es zu eurer Zeit noch Youtube gibt: Einfach mal reinhören, dann seht ihr, in welch harten Zeiten ich gelebt habe!
    Zurück zum Problem. Es ging um Rosalie und die Schule, und Paps und ich raunten uns am Esstisch Gesprächsfetzen zu wie heimliche Verschwörer, während im Hintergrund haarige Handpuppen lärmten und tobten.
    Leise erklärte ich Paps, dass es mich nicht wunderte, dass Rosalie Schulprobleme hat. Sie ist ja gerade erst fünf

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