Wen liebst du, wenn ich tot bin?
sie den Tee einschenkte, presste sie die Lippen zu einem weißen Strich zusammen, aber sie sah uns nicht an.
Nachdem sie das Geschirr abgewaschen hatte, bückte sie sich und schmiegte den Kopf gegen Fiasco.
»Sei ein gutes Mädchen, ja? Ich bin bald wieder da.«
Fiasco schleckte ihre Nase ab.
Ich konnte nicht aufhören zu weinen. Ich hatte Angst, dass wir sie niemals wiedersehen würden. Solange ich mich zurückerinnern konnte, hatte sie davon gesprochen zu verreisen, und jetzt tat sie es wirklich. Sam stand einfach nur da und glotzte vor sich hin, was ziemlich verrückt war, denn die beiden waren sich immer so nahegestanden.
Die beiden hatten Dad und mich oft geneckt, wenn wir loszogen, um seltene Insekten oder Blumen zu suchen. Sie gingen lieber einkaufen oder sangen. Wenn jemand Krach in unserem Haus machte, dann waren es die beiden. So war es schon immer gewesen.
Mum hatte ihre Denim-Shorts an und eine dünne beige Bluse, die ich noch nicht kannte, dazu rustikale Wandersandalen, die sie erst kürzlich aus einem Katalog gekauft hatte. Wir begleiteten sie nach draußen. Ich stand in der Einfahrt, während sie den Blick noch einmal über den Garten und die Blumenbeete und die Rauputzmauern von Silverweed schweifen ließ, und ich dachte: Warum siehst du nicht uns an?
Sam blieb stehen, wo er war, mitten auf dem Weg.
Dad legte seine Axt nieder und stellte sich hinter ihn. Fiasco rannte mit gesenktem Kopf auf und ab, als hätte sie etwas ausgefressen.
»Ich rufe jede Woche an und ich schreibe euch«, sagte Mum. »Und sobald ich mir einen richtigen Plan zurechtgelegt habe, sprechen wir darüber, wie es weitergeht. Das alles hat nichts mit euch zu tun. Vergesst das nicht.«
Sie zog mich an sich, küsste meine Schläfe und sagte, dass ich mir keine Sorgen zu machen bräuchte. Ich wäre ja jetzt ein Teenager und hätte meinen Dad und meinen Bruder und wir würden uns umeinander kümmern. Sie sagte, sie müsste etwas für sich selbst tun, aber sie würde wiederkommen und dann wäre sie glücklich.
»Ich verlasse nicht dich, denn ich liebe dich«, flüsterte sie. Aber das machte es auch nicht besser, denn Dad stand neben uns, und zu ihm würde sie das nicht sagen.
Sie wollte auch Sam in den Arm nehmen, doch er wich zurück. Sie blickte auf die Pfützen, wo sich das Regenwasser zwischen unseren schiefen Pflastersteinen gesammelt hatte. Sie tauchte die Zehenspitzen hinein.
»Okay«, sagte sie dann. »Okay.«
Ihr Wagen war himmelblau lackiert, es war der einzige Farbfleck in unserem Garten, und ich dachte mir, wenn die Sonne jetzt schiene, könnte sie nicht gehen, dann wäre es viel zu schön hier.
Sie machte die Tür auf und stieg ein; die Tür knarzte wie jede andere Autotür an jedem x-beliebigen Tag, und ich wäre am liebsten in den Fond des Autos geklettert, um ihre Sachen alle wieder hinauszuwerfen. Stattdessen sah ich zu, wie sie den Motor anließ, mit ihrem Sicherheitsgurt kämpfte und mit ernster Miene winkte, als würde sie mit dem Hund zum Tierarzt fahren, damit er ihn einschläferte. Und dann fuhr sie los.
Sam war ganz grau im Gesicht, er zitterte, aber Tränen sah ich keine. Das Geräusch, das ihre Reifen auf den Steinen und Kieseln machten, war viel zu laut, vielleicht weil wir alle so sprachlos waren. Dann rannte Sam die Hofeinfahrt entlang, blieb wieder stehen und hob einen Stein auf. Er schleuderte ihn auf das Auto. Sie fuhr einfach weiter.
»Schlampe!«, schrie er.
Irgendwann legte Dad den Arm um mich. Ich sollte nicht merken, dass er weinte, aber das führte nur dazu, dass ich anfing zu keuchen und mein Zwerchfell verrücktspielte. Ich konnte es nicht glauben, dass sie es wirklich getan hatte. Sie war gegangen. Ich begriff nicht, wie es dazu gekommen war.
»Hol tief Luft«, sagte Dad. »Das ist alles, was du machen kannst: tief Luft holen.« Das Luftholen wäre mir allerdings leichtergefallen, wenn Sam aufgehört hätte, sich aufzuführen wie ein Verrückter.
Er kauerte mitten auf der Straße und strich über die Steine wie über die Wellen des Meeres, und dabei hatte er diesen schrecklichen Gesichtsausdruck – so als wüsste er nicht, was er gerade tat.
Ich hatte gehört, wie er sie in der Nacht zuvor angeschrien hatte. Die beiden saßen in seinem Zimmer und ganz plötzlich fing er an.
»Wenn es nicht darum geht, uns zu verlassen, warum darf ich dann nicht mit? Und wenn du wieder zurückkommen willst, warum können wir es dann nicht zusammen tun?«
Als seine Tür krachend ins Schloss
Weitere Kostenlose Bücher