Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
Vom Netzwerk:
Schulanfang.
    Kurz darauf verkündete Mum, sie hätte kein Geld für die neuen Klassenfotos. »Wir haben ja das vom letzten Jahr und du hast dich seither überhaupt nicht verändert«, sagte sie. Es sollte scherzhaft klingen, aber ich war richtig sauer. Ich flehte sie an, das Klassenfoto zu kaufen. Es sei total peinlich, wenn ich die Einzige in der Schule wäre, die es nicht kaufte, und warum, bitte schön, ließ sie eigentlich nie Bilder von uns machen? Warum stellte sie keine auf?
    »Wer hat dir das in den Kopf gesetzt?«, fragte sie. »Und wie wär’s, wenn du zur Abwechlsung mal deinem Vater damit in den Ohren liegst?«
    Aber am nächsten Morgen gab sie uns das Geld für die Fotos, und ein paar Wochen später hing eine Bildersammlung von unserem letzten Ausflug nach Skegness in der Küche.
    Am Telefon sprachen wir allerdings nicht über solche Sachen. Stattdessen erzählte ich ihr, dass die beiden Männer und Trick tagsüber weg waren, während die Mutter die Wohnwagen von innen und außen putzte, und dass die kleinen Mädchen mithelfen sollten, aber ihr meist nur im Weg standen, und dass sie das Feuer abends manchmal ausgehen, manchmal aber die ganze Nacht lang brennen ließen. Unsere Telefonate wurden immer länger und ich fing an, mich auf die Montagabende zu freuen.
    Am Montag nach dem Einbruch hatte ich allerdings keine Lust zu telefonieren. Es war schwer, von den Wohnwagenleuten zu schwärmen, wenn Dad sich so mies fühlte. Er hatte sogar vergessen, Futter in das Vogelhäuschen zu geben, was sonst undenkbar gewesen wäre. Sein Rotkehlchen kam an das Küchenfenster geflogen und klopfte an die Scheibe, als wollte es fragen: Was hab ich dir denn getan?
    Mit halbem Ohr hörte ich Mum zu, wie sie von den Suks in Tunis erzählte und von den Menschen, denen sie dort begegnet war. Auf ihre Frage, ob das Kettchen, das sie mir geschickt hatte, angekommen sei, und ob Sam ihre Ansichtskarte gelesen habe und ob mit Trick alles in Ordnung sei, antwortete ich nur Ja und Ich weiß nicht und Wahrscheinlich, bis sie es schließlich aufgab und mich in Frieden ließ.
    Stunden später, ich lag im Bett und prägte mir die Namen von Wildblumen ein, schlug jemand plötzlich so heftig an meine Tür, dass ich beinahe einen Herzschlag bekam. Beim dritten Schlag platzte Sam herein. Früher hätte er gewartet, aber in letzter Zeit hielt er eine Vorwarnung für völlig ausreichend.
    »Ach, bitte, komm doch rein …«, begrüßte ich ihn bissig, aber dann sah ich sein Gesicht.
    »Was hat sie gesagt?«, nuschelte Sam. Er stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Türklinke, und es sah aus, als würde die Tür gleich aus den Angel fliegen und ihn mitreißen. In dem kahl geschorenen Schädel wirkten seine braunen Augen riesig.
    »Was ist los?« Ich legte mein Buch beiseite.
    »Was hat sie gesagt?«, wiederholte er, diesmal etwas lauter. Er trat ein, ohne die Türklinke loszulassen. Er stank nach Fusel.
    Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte, deshalb sagte ich: »Nicht viel.«
    »Nicht viel?«
    »Sie hat mir erzählt, wo sie gewesen war, in Beni Khiar zum Beispiel …«
    »Beni Khiar?«
    »Sie wollte wissen, wie es uns geht, und sie hat gesagt, dass sie uns gernhat. Dass es ihr leidtut …«
    »Ha!«, schnaubte er, als wäre es das Albernste, was er je gehört hatte. »Und weiter?«
    »Weiter was?«
    »Was hat sie gesagt? Wann kommt sie zurück? Was hat sie gesagt?«
    »Ich … sie hat nichts … sie hat nichts gesagt.«
    »Hast du sie denn nicht danach gefragt?«
    Ich schluckte.
    »Du hast nicht …« Er sah mich fassungslos an. Dann ließ er den Kopf zurückfallen und gab ein schreckliches Geräusch von sich, wie ein kleines Rhinozeros, das sich drei Beine gebrochen hat, aber trotzdem jagen will.
    Er schwang mit der Tür hin und her. Seine Augen funkelten, er hatte den Mundwinkel hochgezogen und machte ein angewidertes Gesicht.
    »Warum fragst du nicht selbst? Wenn du es so unbedingt wissen willst. Warum sprichst du nicht mit ihr?«
    »Dir ist das doch egal«, knurrte er. »Du scherst dich einen Dreck darum, stimmt’s?«
    Er ließ den Türgriff los und stand jetzt mitten im Zimmer, das Gesicht verzerrt von Wut und Tränen und Suff. Ich schwang mich aus dem Bett, bereit, ihm die Stirn zu bieten, wenn er nicht endlich den Mund hielt.
    »Dir ist es egal, nicht wahr?«, sagte er. »Du hast ja Dad.«
    »Was weißt du schon von mir?«
    Ich wünschte, Dad würde sich beeilen und aus der Kneipe zurückkommen.
    »Ich hasse dich,

Weitere Kostenlose Bücher