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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Schuppen gingen.
    An diesem Nachmittag traf ich Dad im Wohnzimmer sitzend an; der Fernseher lief, aber der Ton war stumm. Tagsüber sah er nie fern, höchstens an Weihnachten.
    Die Vorhänge im Wohnzimmer waren zugezogen, aber in der Mitte blieb immer ein schmaler Spalt. Mum hatte sie schon längst durch neue ersetzen wollen, seit sie vor etwa einem Jahr bei der Wäsche eingegangen waren. Ich nahm mir vor, dass ich neue kaufen würde, sobald ich Geld hätte.
    Das Sonnenlicht stach grell durch den Spalt und ließ den Staub aufblitzen. Fiasco lag auf Dads Füßen, den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt. Ich setzte mich neben ihn auf den Stuhl. Zur Begrüßung schlug sie mit dem Schwanz auf den Boden.
    »Alles in Ordnung, Dad?«
    »Nein, Pilli. Ich hab die Schnauze voll.«
    Ich zog den Mundwinkel hoch und überlegte, was ich sagen könnte.
    Die Wände im Wohnzimmer sahen aus wie Milchreis, nur dass sie blassgrün waren. Ich streckte die Hand aus, um sie zu berühren, so als wollte ich mich vergewissern, dass die unebenen Bläschen noch alle da waren. Direkt über Dads Platz klebte ein Klumpen Tomatensoße, den wir alle drei bisher absichtlich ignoriert hatten. Ich blickte hoch zu dem Fleck.
    »Ich werde das morgen wegwischen«, versprach ich.
    Dad schnaubte.
    Die Fernbedienung war von der Armlehne gefallen und lag auf dem Boden, die Batterien daneben. Ich bückte mich und hob sie auf.
    »Was siehst du dir an?«, fragte ich.
    »Haifische.«
    »Cool«, sagte ich.
    Ich wickelte das Gummiband fest, womit die Rückseite festgehalten wurde, und gab ihm die Fernbedienung. Er spielte an den Knöpfen herum.
    »Das war das Schwein, das mir den Führerschein abgenommen hat«, sagte er, und ich bemühte mich, möglichst überrascht dreinzuschauen. »Sau sollte ich wohl lieber sagen. Sie hat mir das eingebrockt.«
    Das Sonnenlicht schien hell durch den Schrumpfvorhang auf den Fernseher, und einen Augenblick lang leuchtete der Staub auf der Mattscheibe, als ein großer weißer Hai aus dem Dunklen auf uns zugeschossen kam.
    »Mach, was du willst, Pilli, aber werd kein Bulle.«
    »Nie im Leben.«
    Er lehnte sich wieder zurück und sah fern und ich auch, aber ich musste immerzu an Trick und seine Familie draußen auf der Koppel denken.

Neun
    M um rief weiterhin jeden Montagabend um Punkt sieben Uhr an, und Sam weigerte sich weiterhin, abzuheben oder um diese Uhrzeit auch nur zu Hause zu sein. Am Anfang unseres Telefonats kam immer dieser peinliche Moment, wenn Mum fragte: »Ist Sam …?« Ich unterbrach sie dann gespielt munter und brachte das Gespräch auf ein anderes Thema.
    Anfangs fühlte ich mich mies, wie ein Kind, das den Trostpreis gewonnen hat, aber nach einer Weile machte es mir gar nichts mehr aus.
    Dad richtete es stets so ein, dass er im Hirschen war, wenn sie anrief, daher war ich im Laufe der Zeit dazu übergegangen, mich in seinen Lehnstuhl zu setzen und über Dinge zu reden, von denen sonst niemand etwas hören wollte: hauptsächlich über Trick Delaney.
    Das war verrückt, denn als Mum noch bei uns wohnte, hat sie mir nie zugehört. Sie tat zwar so und glaubte sogar, sie könne sich gut verstellen, aber ich wusste genau, wann sie mir etwas vorspielte. Ich hatte mir kleine Tests ausgedacht, um sie auf die Probe zu stellen. Gelegentlich streute ich komplizierte Wörter ein, die ich neu gelernt hatte und die lustig klangen, wie zum Beispiel Scrotum und Vestibulum, und sie nickte dazu immer ganz eifrig.
    Am Telefon war das anders. Sie hörte mir gerne zu, wenn ich von den Wohnwagenleuten sprach. Besonders interessierte sie Tricks Mutter, deshalb erzählte ich ihr alles, was mir aufgefallen war. Zum Beispiel, dass Tricks kleine Schwestern Ohrlöcher hatten, sogar Ileen, die Kleinste, und dass seine Mutter frühmorgens, ehe die Babys aufwachten, manchmal vor dem Wohnwagen Liegestütze machte.
    Matty sagte, sie könnte es nicht ertragen, wenn ihre Mutter sie verließe, aber ich musste nur ein paar Minuten bei ihr zu Hause mit Donna verbringen, und schon verspürte ich den Drang, rauszugehen und mich in einen schlammigen Acker zu legen oder die Schaukel über die höchste Kletterstange auf dem Spielplatz zu werfen, damit sich die Kette verhedderte und niemand mehr schaukeln konnte.
    Irgendwann in einem Sommer bemerkte Matty, dass in unserem Haus keine Familienfotos hingen. Bei ihr dagegen sah es aus wie in einem Museum: alle zusammen in Disney World, alle in viktorianischen Kostümen und Matty Jahr für Jahr zum

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