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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Maispuppen macht, was mir nicht so recht gelang – und immer noch wartete ich auf Trick. Ich ging zum Bach und hielt nach einem Hecht Ausschau, aber es schwammen nur Karpfenfische und Elritzen herum, allerdings auch ein Barsch, den ich beinahe übersehen hätte, weil er sich im Schilf versteckt hielt.
    Zehn Uhr war vorbei. Trick hatte gesagt, wenn es so spät werden würde, dann würde er es nicht mehr schaffen. Ich gab die Hoffnung auf. Er würde nicht kommen. Vielleicht hatte er niemals vorgehabt zu kommen. Wieso war ich so sicher gewesen, dass er uns nicht bestehlen würde? Ich kannte ihn doch gar nicht.
    Ich dachte an seine Augen, an die kleine schwarze Stelle, wo die Iris verschwamm, und daran, wie ihm die Haare ins Gesicht fielen, wenn er mir zuhörte. Ich kannte ihn ja doch. Bestimmt war sein Vater daran schuld. Er hatte herausgefunden, dass Trick sich mit einem einheimischen Mädchen traf, und ihm Hausarrest aufgebrummt. Aber vielleicht hatte er mich auch vergessen. Oder gemerkt, dass ich ein Dummkopf war.
    Nach so vielen Sonnentagen war unsere Ernte zusammengeschrumpelt. Ich nahm einen Maiskolben und warf ihn an die Eiche. Es war gut, dass Trick nicht gekommen war. Es war dumm von mir gewesen zu glauben, dass wir Freunde sein könnten. Wenn er wüsste, was ich von seinem Dad dachte, was meine Familie von ihm dachte, würde er das sowieso nicht wollen. Wenn er wüsste, dass ich mir manchmal selbst nicht sicher war.
    Die Maiskolben, die zuunterst lagen, waren nass und wurden schon schwarz, blinde Fleischfliegen krochen darüber. Ich zielte mit ihnen auf die Mitte des Baums, dorthin, wo der Stamm aufhörte und die Äste begannen. Ich warf so lange, bis nichts mehr von dem Stapel übrig war, dann legte ich mich hin. Die Maisstängel piksten in meinen Rücken und Blattläuse krabbelten auf meinen Armen, sodass meine Haut zu jucken anfing. Das Tageslicht schwand immer mehr und langsam sträubten sich die Haare an meinen Armen.
    Ich wollte nicht nach Hause gehen. Ich wollte alleine hier draußen bleiben, bis es ganz dunkel war und ich mich erkältete, dann würde ich mich eine Woche lang ins Bett legen und nur Tomatensuppe essen, bis jemand kam, der das bemerkte und der Mum zurückholen und Dad wieder glücklich machen würde, und alles wäre wieder so wie früher.
    Plötzlich raschelte es im Mais, und ich war wieder ganz unbeschwert, als hätte mich niemals etwas bedrückt. Trick war da, und er klang genauso fröhlich, wie ich mich fühlte.
    »Iris!«, rief er. Ich stand auf. Ich konnte nicht anders, ich musste lachen.
    Er breitete die Arme aus, und ich ließ mich von ihm umarmen, als sei es das Normalste von der Welt, dass unsere Körper sich aneinanderschmiegten. Er roch nach Seife und Zigaretten und Fritten.
    »Dachte, du bist bestimmt schon gegangen«, sagte er und drückte mich noch einmal extra fest. »Alles okay?«
    Ich nickte, aber als er mich losließ, konnte ich ihn nicht anschauen.
    Das Rosa der Wolken hatte sich in Grau verwandelt, die Sonne war untergegangen, aber es war immer noch nicht ganz dunkel.
    Zwischen uns beiden hatte sich etwas verändert, als wir uns diesmal hinsetzten. Er hatte seine rote Weste und seine verwaschensten Jeans an, aber anders als sonst hatte er die Hosenbeine bis zu den Knöcheln hinuntergerollt, und ich überlegte, ob er sie abends immer so trug. Schweigend blickte er auf seine Füße, mit denen er in der warmen Luft wippte. Normalerweise fing er sofort an zu erzählen, so als hätte er sich die Geschichten eigens für mich aufgespart.
    »Am Montag war ich bei der Polizei«, sagte er schließlich.
    Er ließ seine Haare über die Augen fallen und das machte mich nervös. Warum strich er sie nicht wie sonst nach hinten? Warum vermied er es, mich anzuschauen?
    »Aus dem Schuppen sind Werkzeuge verschwunden«, sagte ich, und meine Stimme klang seltsam fremd und automatenhaft.
    Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Das darf nicht wahr sein!« Seufzend griff er nach einem Maiskolben.
    Seine Füße hörten auf zu wippen. Stattdessen schlug er sie hin und wieder aneinander. Er streifte die Blätter vom Maiskolben und legte die baumwollartigen Fasern frei, die die Frucht schützten; dabei lächelte er ein wenig.
    »Wir haben uns schon gedacht, dass es jetzt losgehen würde«, sagte er.
    Ich hatte ihn noch nie in der Dämmerung gesehen; er sah irgendwie anders aus. In der Dunkelheit wirkten seine Augen größer und schienen auch tiefer zu liegen. Und dann machte es

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