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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Klick.
    »Was ist mit deinem Gesicht passiert?«, fragte ich. Meine Wangen brannten vor Schreck.
    Trick biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie fast ganz hinter seinen Vorderzähnen verschwand.
    Sein rechtes Auge war geschwollen und auch sein Nasenrücken, es sah aus, als trüge er eine lila Augenklappe.
    »Das war mein Vater. Er hat es nicht gewollt. Er hat mir nur einen Stoß gegeben. Bin dumm gestürzt. Habe eine Pfanne mit heruntergerissen. Sie ist mir auf die Nase gefallen.«
    »Ist sie gebrochen?«
    »Die Pfanne? Nö, der geht’s gut. Meine Mutter hat heute Morgen Eier darin gebraten.«
    »Trick.«
    »Tut mir leid. Ja, wahrscheinlich schon.«
    »Warst du im Krankenhaus?«
    »Wozu denn?«, sagte er schnell. »Was können sie dort machen? Die Nase noch mal brechen? Das kann ich demnächst auch wieder. Mach dir keine Sorgen«, sagte er und strich mir mit dem Handrücken über die Wange. Mein Herz klopfte so heftig, dass mir ganz schwindelig wurde.
    Er pulte Körner aus dem Mais und warf sie weg. »Schätze, dein Vater glaubt, wir waren es.«
    Ich bohrte meinen Finger in eine tiefe Ritze in der Erde. Fette, kleine Spinnen krabbelten heraus. Wir sahen zu, wie sie wegrannten, um sich woanders zu verstecken.
    »Hat er deshalb neulich so geschrien?«, fragte er.
    Ich nickte.
    »Was sagt dein Bruder dazu?«
    Da sprudelte es nur so aus mir heraus. Ich sagte ihm, seit wie vielen Jahren nie etwas aus unserem Schuppen weggekommen war; ich versuchte es ihm zu erklären.
    »Es geht doch nicht nur um dich …«, sagte ich.
    »Na ja. Vielleicht war es eine von den Kleinen … Ich weiß nicht, was sie Freitagnacht gemacht haben. Womöglich war es Ileen. Sie macht unserem Ruf alle Ehre.«
    Ich dachte an Dad, der mit zugezogenen Vorhängen Fernsehen schaute, und zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, wünschte ich mir, dass Trick den Mund halten würde.
    »Tut mir leid«, sagte er. Sein Haar fiel ihm über die Augen, als er zu Boden sah.
    Ich zupfte ein Katzenhaar von meiner Hose. Trick seufzte laut auf.
    »Wo würdet ihr denn hingehen? Wenn man euch hier vertreibt«, fragte ich nach einer Weile.
    Trick zuckte die Schultern. »Mein Vater sagt, irgendwo im Süden gibt es ein neues Camp. In Essex, glaube ich. Mein Onkel hat dort ein Stück Land gekauft. Genaueres weiß ich auch nicht. Er sagt uns nie etwas.«
    »Du würdest einfach verschwinden.«
    Trick schleuderte einen Maiskolben in die Eiche, und wir sahen zu, wie die Blätter zitterten, als er in der Baumkrone verschwand. Ich musste daran denken, wie Mum in ihrem himmelblauen Kombi weggefahren war. Ich hatte das Gefühl, wenn ich aufstehe, dann würde ich die ganze Erde unter mir mitziehen. Ich war so schwer wie das große, weite Feld, in dem wir lagen.
    Er hatte die Finger auf dem bröseligen Boden gespreizt, und ich stellte mir vor, dass ich meine Hand auf seine legte.
    »Meiner Mum gefällt es hier auch sehr gut«, sagte Trick. Er klang so deprimiert, dass sich meine Finger wie von selbst in seine verflochten. Er drehte seine Hand um und wir hielten uns an den Händen, einfach so.
    Er sah mich ganz fest an, seine Finger fühlten sich warm an zwischen meinen.
    »Keiner von uns hat etwas aus eurem verdammten Schuppen genommen«, sagte er. »Das weißt du doch, oder?«
    Ich nickte und hoffte, dass ich dabei keine Miene verzog, denn ich war so erleichtert bei seinen Worten und auch, weil ich ihm glaubte.
    Er zog seine Hand aus meiner und legte sie auf meine Schulter. Ich lehnte mich an ihn, überrascht, wie selbstverständlich sich das anfühlte. Mit der anderen Hand kratzte er einen Schlammfleck von seiner Hose.
    »Meine Mutter ist ganz verrückt nach eurem Haus, weißt du. Sie träumt davon, dass wir alle miteinander darin wohnen. Und ihr werdet alle rausgeschmissen.«
    Ich lachte. »Ich wünschte, meine Mutter wäre auch so verrückt danach.«
    Trick drückte mich. Das Mais um uns herum raschelte, die Tiere der Nacht wachten allmählich auf.
    »Manchmal stelle ich mir vor, dass sie nicht abgehauen, sondern gestorben ist.« Das klang entsetzlich, sogar wenn ich es so leise wie jetzt sagte. »Ich frage mich, ob wir dann mehr über sie reden würden.«
    Trick streichelte meine Schulter.
    »Du kannst mit mir über sie reden«, sagte er. Das war zwar nicht dasselbe, aber es hatte etwas zu bedeuten, dass er das sagte. Ich erzählte ihm, wie wir am Montagabend stundenlang miteinander geredet hatten, und dann sagte ich etwas, was ich mir selbst noch gar nicht richtig

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