Wen liebst du, wenn ich tot bin?
erst da bemerkte ich, dass das Wasserrauschen aufgehört hatte.
Die Schnur am elektrischen Badeofen schnarrte. Trick hatte es auch gehört. Er streckte ein letztes Mal die Arme nach mir aus.
»Bitte, Iris«, sagte er so leise, dass ich es kaum hörte.
Ich war so verstört, weil Sam im Krankenhaus war und Dad mir nicht mehr in die Augen schauen konnte, aber was ich jetzt mehr als alles andere brauchte, war jemand, der mich in den Arm nahm. Deshalb stieg ich auf meinen Schreibtisch und sprang in den Vorgarten.
Die Strahlen der Sonne wärmten mein Gesicht und ich sog den Duft der Rosen ein und spürte ihre Dornen in meinem Rücken. Ich atmete seinen Geruch nach Schweiß und Rauch ein und versuchte, den kalten metallischen Geruch zu ignorieren.
Ich hob den Kopf und er strich mir über die Wange. Egal was in meinen Gedanken vor sich ging, die Schmetterlinge in meinem Bauch waren wieder zum Leben erwacht.
Unsere Blicke trafen sich. In seinen Augen lag eine Spur Unsicherheit, wie immer, aber seine Stimme war fest.
»Ich hab das alles nie gewollt«, sagte er. Dann stieß er mich plötzlich weg. Er rang nach Luft und hustete röchelnd in ein Taschentuch, das er aus seiner Hosentasche gezogen hatte. Es war löchrig und blutdurchtränkt.
»Geht schon wieder«, sagte er und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Er stopfte das Taschentuch zurück in die Hosentasche.
»Trick, du musst ins Krankenhaus gehen.«
»Mach ich später.«
Da begriff ich, dass er die ganze Zeit über die Hand nicht von der Hauswand genommen hatte. Er hatte sich abgestützt. Ich fragte mich, ob er sich überhaupt noch auf den Beinen halten konnte. Wie wollte er es in diesem Zustand bis nach Nottingham schaffen?
»Diesmal ist es nicht nur eine gebrochene Nase, Trick.«
»Ich weiß.«
Ich hörte das Schloss der Badezimmertür quietschen. Ohne nachzudenken, kletterte ich durchs Fenster und sprang zurück in mein Zimmer. Als ich mich umwandte, war Trick verschwunden.
Zweiunddreißig
A m Montagabend um sieben Uhr wartete Dad neben dem Telefon. Noch bevor der erste Klingelton verklungen war, nahm er den Hörer ab und berichtete Mum, was geschehen war.
Seine Stimme war kalt, fast bis zum Schluss, als er leise »Shh-shh-shh« sagte. »Du weißt, was für einen harten Schädel er hat. Er wird sich wieder erholen.«
An der Art, wie er mir das Telefon in die Hand drückte, konnte ich ablesen, dass er annahm, es würde sie trösten, meine Stimme zu hören.
Tess holte sie am nächsten Tag vom Flughafen ab und brachte sie am frühen Morgen ins Krankenhaus. Benjy trabte hinter ihnen her und trug Mums Rucksack. Ich hatte ihn seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Seine Haare waren lang, sie reichten fast bis an die Schultern. Er trug jetzt schwarze T-Shirts von irgendwelchen Bands und lange Shorts statt Sportklamotten, aber er war schüchtern und unbeholfen wie eh und je – der gute alte Benjy.
Mum betrat das Wartezimmer, in dem wir saßen und so taten, als läsen wir in den Büchern, die wir mitgebracht hatten.
»Wie geht es ihm?«, fragte sie atemlos und mit ängstlich aufgerissenen Augen.
Dad erzählte ihr das Neueste, nämlich dass wir darauf warteten, dass er aus dem Koma erwachte. Seine Stimme war dumpf, und als er fertig war, sagte er zu mir, er würde sich jetzt eine Tasse Tee aus dem Automaten holen, so als ob Mum gar nicht da wäre.
Sie trug ihre Haare jetzt viel kürzer und sie waren in der Sonne weißblond geworden. Sie war schlanker und hatte eine dieser merkwürdigen beigen Schlabberhosen an. Ihr dünnes weißes Shirt war zerknittert, und an ihrem linken Armgelenk baumelten Holzkettchen, wie sie mir auch eines geschickt hatte. Ihre Sommersprossen waren viel ausgeprägter und hatten inzwischen das ganze Gesicht erobert. Und all das zusammengenommen, mit Ausnahme des zerknautschten Shirts, ließ sie im Krankenhaus völlig fehl am Platz erscheinen.
Mit ausgebreiteten Armen kam sie auf mich zu, aber ich blieb stocksteif stehen, bis sie direkt vor mir stand. Ich ließ mich von ihr umarmen.
Sie rieb mir über die Schultern, auf diese feste Art, die ich fast schon vergessen hatte, und sie legte ihre Hände hinten an meinen Kopf, als wäre er etwas besonders Zartes und Kostbares, und ich spürte den Druck ihrer Ringe und ihre harten Fingernägel, und das alles war mir so vertraut und roch genauso wie früher, vielleicht etwas mehr nach Kokosnuss, und als sie mich ansah und meinen Namen sagte, war ausgerechnet dies der Moment, der
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