Wende
der göttlichen Ordnung, deren Feier er in der Üppigkeit der Barockkunst überall um sich herum miterleben konnte, die kalte, sterile und chaotische Welt nichtiger, bedeutungsloser Atome war.
Warum diese Mühe? Wie Morus’ Utopia gezeigt hatte, konnte es über den Glauben an die göttliche Vorsehung sowie an Strafe und Lohn der Seele im Jenseits keine Verhandlungen geben, nicht einmal in spielerischen Phantasien über nichtchristliche Völker irgendwo am Rand der bekannten
Welt. Doch Morus’ Utopier gründeten ihre doktrinäre Beharrlichkeit nicht auf ihrem Wissen über die physikalische Welt. Warum aber haben sich dann die Jesuiten, der militanteste und zugleich intellektuell anspruchsvollste Orden dieser Zeit, der undankbaren Aufgabe gewidmet, die Atome auszumerzen? Nicht einmal während des Mittelalters war die Idee unsichtbarer Keime vollständig verschwunden. Die zentrale Vorstellung von Grundbausteinen des Universums – den Atomen – hatte den Verlust der antiken Texte überlebt. Man konnte sogar, ohne sich ernsthaft in Gefahr zu bringen, über Atome sprechen – vorausgesetzt, man hielt daran fest, dass es die göttliche Vorsehung war, die sie in Bewegung setzte und ihre Ordnung stiftete. Selbst in den höchsten Rängen der katholischen Kirchenhierarchie gab es immer wagemutige, spekulative Geister, die begierig waren, sich mit der neuen Wissenschaft auseinanderzusetzen. Wie also kam es, dass Atome in der Hochrenaissance, zumindest in einigen Kreisen, plötzlich für derart gefährlich gehalten wurden?
Die knappe Antwort: Auch das war eine Reaktion auf die Wiederentdeckung von Lukrez’ De rerum natura. Dass sich das Gedicht wieder im Umlauf befand, hatte bewirkt, dass die Idee der Atome als dem letzten Substrat alles Seienden mit einem ganzen Bündel anderer, höchst gefährlicher Behauptungen verbunden wurde. Löst man sie aus allen anderen Zusammenhängen, erscheint die Vorstellung, alle Dinge bestünden womöglich aus unzähligen unsichtbaren Partikeln, nicht sonderlich aufregend. Aus irgendetwas muss die Welt ja bestehen. Doch Lukrez’ Gedicht gab der Atomvorstellung den verlorenen Kontext zurück, und das hatte zutiefst verstörende Folgen auf allen Gebieten, moralisch, politisch, ethisch, theologisch.
Allerdings wurden sie nicht jedem auf Anhieb klar. Ein Savonarola mochte spotten über die neunmalklugen Denker, die da glaubten, die Welt bestünde aus unsichtbaren Teilchen; er aber wollte damit nur Gelächter auslösen, noch keine Autodafés entzünden. Katholiken wie Erasmus und Morus konnten, wie wir sahen, ernsthaft darüber nachdenken, ob und wie sich Elemente des Epikureismus mit dem christlichen Glauben verbinden ließen. Und als Raphael 1509 seine Schule von Athen malte – diese prächtige Vergegenwärtigung der griechischen Philosophie –, schien er zuversichtlich davon auszugehen, dass das gesamte klassische Erbe, nicht
nur das Werk einiger Auserwählter, in Harmonie mit der christlichen Lehre würde leben können, ernsthaft diskutiert von den Theologen, die er an der gegenüberliegenden Wand darstellte. Platon und Aristoteles nehmen stolzen Raum ein in Raphaels Szene erleuchteter Geister, doch unter den weiten Bögen blieb Platz genug, alle namhaften Denker darzustellen, sogar – wenn die traditionellen Zuordnungen zutreffend sind – Hypatia von Alexandrien und Epikur.
Doch Mitte des Jahrhunderts bestand für solche Zuversicht kein Raum mehr. 1551 haben die Theologen des Konzils von Trient, zumindest zu ihrer eigenen Zufriedenheit, die Debatten ein für alle mal abgewürgt, die um das zentrale christliche Mysterium und sein wahres Wesen waberten. Nun waren die subtilen Gedanken zum unverrückbaren Dogma der Kirche geworden, mit denen Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert, gestützt auf Aristoteles, hatte beweisen wollen, dass die Transsubstantiation – die Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi – mit den Gesetzen der Physik übereinstimme. Ohne die aristotelische Unterscheidung von Akzidenz und Substanz der Materie zu verletzen, ließ sich erklären, wie etwas, das aussah und roch und schmeckte wie ein Stück Brot, tatsächlich (und nicht nur symbolisch) Christi Fleisch sein konnte. Was die Menschen mit ihren Sinnen wahrnehmen konnten, waren allein die Akzidentien des Brotes, die Substanz der heiligen Hostie aber wurde durch das vom Priester angestoßene, von Gott bewirkte Wandlungswunder zur Substanz des göttlichen Leibes. 8
Politisch geschickt
Weitere Kostenlose Bücher