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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Gehsteigen, die sich drängen, die durch ihr schmutziges Unterzeug und ihren verdorbenen, elenden Atem ein wenig animalische Wärme ausstrahlen. Vielleicht sieht es sechs oder zehn Häuserblocks weiter nach etwas wie Heiterkeit aus, aber dann stürzt es wieder zurück in die Nacht, eine trübe, faulige, schwarze Nacht wie erstarrtes Fett in einer Suppenterrine. Häuserblocks um Häuserblocks zackiger Mietskasernen, jedes Fenster fest geschlossen, jeder Laden verbarrikadiert und verriegelt. Meilen um Meilen von steinernen Gefängnissen ohne den leisesten Schimmer von Wärme. Die Hunde und die Katzen sind alle drinnen bei den Kanarienvögeln. Auch die Küchenschaben und die Wanzen sind sicher eingekerkert. Tout Est Bon . Wenn du keinen Sou hast, dann nimm einfach ein paar alte Zeitungen und bereite dir ein Bett auf den Stufen einer Kathedrale. Die Türen sind fest verrammelt, und keine Zugluft wird dich stören. Noch besser ist es, vor den Metro-Schächten zu schlafen; dort hast du Gesellschaft. Sieh sie dir in einer Regennacht an, wie sie dort daliegen, steif wie Matratzen – Männer, Frauen, Läuse, alle aneinandergedrängt und mit Zeitungen gegen Spucke und das Ungeziefer geschützt, das ohne Beine kriecht. Sieh sie dir an unter den Brücken und unter den Marktständen. Wie garstig sie aussehen im Vergleich zu dem sauberen, leuchtenden, wie Juwelen ausgelegten Gemüse. Sogar die von den fettigen Haken herunterhängenden toten Pferde, Kühe und Schafe sehen einladender aus. Wenigstens werden wir sie morgen essen, und sogar die Eingeweide dienen einem Zweck. Aber welchem Zweck dienen diese im Regen liegenden schmutzigen Bettler? Wozu können sie für uns gut sein? Sie lassen uns fünf Minuten das Herz bluten, das ist alles.
    Nun ja, das sind nächtliche Gedanken, wie sie einem nach zweitausend Jahren Christentum bei einem Spaziergang im Regen kommen. Wenigstens sind jetzt die Vögel, die Katzen und die Hunde gut versorgt. Jedesmal, wenn ich am Fenster der Concierge vorbeigehe und den ganzen eisigen Stoß ihres Blickes auffange, überkommt mich ein unsinniges Verlangen, alle Vögel der Schöpfung zu erwürgen. Auf dem Grunde jedes erstarrten Herzens finden sich ein paar Tropfen Liebe – gerade genug, um die Vögel zu füttern.
    Trotzdem kann ich nicht vergessen, was für ein Zwiespalt zwischen Idee und Leben besteht. Eine dauernde Verwirrung, obwohl wir die beiden mit einer hellen Plane zu bedecken versuchen. Aber es wird nicht gehen.
    Ideen und Handlungen müssen einander entsprechen. Wenn in den Ideen kein Sex, keine Vitalität steckt, gibt es kein Handeln. Ideen können in dem Vakuum des Denkens nicht allein bestehen. Ideen haben Bezug zum Leben: Leber-Ideen, Nieren-Ideen, interstitielle Ideen usw. Nur einer Idee zuliebe hätte Kopernikus nicht den bestehenden Makrokosmos zerstört, und Kolumbus wäre im Sargassomeer gescheitert. Die Ästheten der Idee bringen Blumentöpfe hervor, und Blumentöpfe gehören aufs Fensterbrett. Aber wenn es keinen Regen und keine Sonne gibt, welchen Zweck hat es dann, Blumentöpfe vors Fenster zu stellen?
    Fillmore ist ganz von Gedanken an Gold erfüllt. Der ‹Mythos› des Goldes, bezeichnet er es. Mir gefällt das Wort ‹Mythos›, ich mag Gedanken an Gold, aber ich bin nicht von der Sache besessen und sehe nicht ein, warum wir Blumentöpfe aufstellen sollen, und seien sie aus Gold. Er erzählt mir, die Franzosen horteten ihr Gold in wasserdichten Gelassen tief unter der Erdoberfläche. Es gebe dort eine kleine Lokomotive, die in unterirdischen Gewölben und Gängen umherfährt. Dieser Gedanke gefällt mir riesig. Eine tiefe, ungebrochene Stille, in der das Gold bei einer Temperatur von 17 1/4 Grad Celsius sanft schlummert. Er sagt, eine 46 Tage und 37 Stunden arbeitende Armee würde nicht genügen, um alles das unter der Bank von Frankreich gehortete Gold zu zählen, und dabei gäbe es noch einen Reservevorrat an falschen Zähnen, Armbändern, Eheringen usw. Auch genug Nahrungsmittel für achtzig Tage, und über dem Goldhaufen ein See, um der Erschütterung durch hochexplosive Stoffe zu widerstehen. Das Gold, sagt er, neige dazu, mehr und mehr unsichtbar, ein Mythos zu werden, und es gebe keine Unterschlagungen mehr. Vorzüglich!
    Ich frage mich, was aus der Welt wird, wenn wir von der Goldwährung in Denkweise, Kleidung, moralischen Grundsätzen usw. abgehen. Die Goldwährung der Liebe!
    Bis jetzt war es in Zusammenarbeit mit mir selbst mein Gedanke, von der Goldwährung der

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