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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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zerspringende Leib, diese in Nacht aufgelöste Frau und ihre launischen Worte, die sich durch die Matratze fraßen. Ich wanderte weiter den Äquator entlang, hörte das gräßliche Lachen der grünmäuligen Hyäne, sah den Schakal mit silberner Rute und das Dick-Dick und den gefleckten Leoparden, sämtlich noch im Garten Eden. Und dann wuchs ihre Trauer, wurde wie der Bug eines Schlachtschiffes, und das Gewicht ihres Untergangs überflutete meine Ohren. Schleimwasser und Saphire glitschen und rieseln durch die munteren Nervenzellen, und das Spektrum ist gespleißt und das Schanzdeck taucht ein. Ich hörte die Kanonen auf den Lafetten sich drehen, leise wie der Tritt eines Löwen, sah sie sich erbrechen und geifern: das Firmament neigte sich, und alle Sterne wurden schwarz. Das Schwarze Meer blutete, und die brütenden Sterne gebaren Klumpen frischgeschwollenen Fleisches, während zu Häupten die Vögel kreisten und aus der Halluzination des Himmels die Waage mit Mörser und Stößel und die verbundenen Augen der Gerechtigkeit fielen. Alles, was hier berichtet wird, bewegt sich auf imaginären Füßen, die Breitengrade toter Umlaufbahnen entlang, alles, was mit den leeren Augenhöhlen gesehen ist, explodiert wie blühendes Gras. Aus dem Nichts erhebt sich das Zeichen der Unendlichkeit; unter den ständig steigenden Spiralen versinkt langsam das klaffende Loch. Land und Wasser verschmelzen zu einem Rhythmus, einem mit Fleisch geschriebenen Gedicht, das stärker ist als Stahl und Granit. Durch endlose Nacht wirbelt die Erde einer unbekannten Schöpfung entgegen …
    Heute erwachte ich aus tiefem Schlaf mit Freudenflüchen auf den Lippen, Kauderwelsch auf der Zunge wiederholte ich zu mir selber wie eine Litanei: « Fay ce que vouldras! … Fay ce que vouldras! » Tu, was du willst, wenn es nur Freude bringt. Tu, was du willst, wenn es nur Ekstase erzeugt. All das geht mir durch den Sinn, als ich das zu mir selber sage: fröhliche, schreckliche, tollmachende Bilder, der Wolf und die Geiß, die Spinne, die Krabbe, die Syphilis mit ihren ausgebreiteten Schwingen und die immer nur eingeklinkte, immer offene Tür des Schlosses, bereit wie das Grab. Wollust, Verbrechen, Heiligkeit: das Leben der von mir Verehrten, die von ihnen hinterlassenen, die von ihnen unvollendet gelassenen Worte. Das Gute, das sie nachschleppten, und das Böse, die Trauer, der Mißklang, der Groll, der von ihnen heraufbeschworene Hader. Aber vor allem die Ekstase !
    Dinge, gewisse Dinge im Hinblick auf meine alten Idole lassen mir Tränen in die Augen treten: die Störungen, die Unordnung, die Heftigkeit und vor allem der Haß, den sie hervorriefen. Wenn ich an ihre Mißgestaltungen denke, den von ihnen gewählten ungeheuerlichen Stil, an die Schwülstigkeit und Weitschweifigkeit ihrer Werke, an die ganze Verworrenheit und Wirrnis, in der sie schwelgten, an die Hindernisse, die sie um sich häuften, hebt sich meine Stimmung. Sie blieben alle in ihrem eigenen Dung stecken. Alles Menschen, die übersorgfältig zu Werke gingen. Das ist so wahr, daß ich fast versucht bin zu sagen: ‹Zeig mir einen Menschen, der übersorgfältig zu Werke geht, und ich zeige dir einen großen Menschen!› Was als ihre ‹Übersorgfalt› bezeichnet wird, ist mir eine Wonne: es ist das Zeichen des Kampfes, Kampf um seiner selbst willen mit allen Fasern, eben die Aura und das Fluidum des abweichenden Geistes. Aber wenn man mir einen Menschen zeigt, der sich vollendet ausdrückt, möchte ich nicht sagen, daß er nicht groß ist, sondern möchte sagen, daß ich mich nicht hingezogen fühle … Ich vermisse die Pranke des Löwen. Wenn ich bedenke, daß die Aufgabe, die sich ein Künstler stellen muß, darin besteht, vorhandene Werte zu stürzen, aus dem Chaos, das ihn umgibt, seine eigene Ordnung herzustellen, Aufstand und Gärung zu säen, so daß durch die emotionale Befreiung die Toten wieder zum Leben erweckt werden, dann laufe ich freudig zu den Großen und Unvollendeten über; ihre Verworrenheit nährt mich, ihr Stammeln klingt in meinen Ohren wie göttliche Musik. Ich sehe in den prächtig überladenen Seiten, die den Störungen folgen, die kleinlichen Einmischungen ausgetilgt, die schmutzigen Fußabdrücke der Feiglinge, Lügner, Diebe, Vandalen und Verleumder. Ich sehe in den angespannten Muskeln ihrer lyrischen Kehlen die krampfhafte Anstrengung, die notwendig ist, das Rad weiterzudrehen und das Tempo dort wieder aufzunehmen, wo man aufgehört hat. Ich sehe, daß

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