Wendekreis des Krebses
schmerzenden Nierensteinen, ihrem Grieß und was nicht noch alles; ich liebe den brühheiß herausrinnenden Urin und den endlos laufenden Tripper; ich liebe die Worte der Hysterischen und die Aussprüche, die wie Ruhr rinnen und alle kranken Bilder der Seele widerspiegeln; ich liebe die großen Ströme wie den Amazonas und den Orinoko, auf denen Verrückte wie Moravagine in einem offenen Boot durch Traum und Legende dahintreiben und in der verborgenen Flußmündung ertrinken. Ich liebe alles, was fließt, sogar den Menstruationsfluß, der den unfruchtbaren Samen wegschwemmt. Ich liebe fließende Schriften, mögen sie hieratisch, esoterisch, pervers, vielgestaltig oder einseitig sein. Ich liebe alles, was fließt, alles, dem Zeit und Reiz innewohnt, das uns zurückversetzt an den Anfang, der nie endet: das Ungestüm der Propheten, die Obszönität, die Ekstase ist, die Weisheit des Fanatikers, den Priester mit seiner Gummilitanei, die gemeinen Worte der Hure, den im Rinnstein wegfließenden Speichel, die Milch der Mutterbrust und den aus dem Schoß tropfenden bitteren Honig, alles, was fließt, schmilzt, aufgelöst ist und sich auflöst, den ganzen Eiter und Unrat, der im Fließen geklärt wird, das Gefühl seiner Herkunft verliert, den großen Kreis hin zu Tod und Auflösung beschreibt. Der große, blutschänderische Wunsch ist, weiterzufließen, eins mit der Zeit, die große Vorstellung vom Jenseitigen mit dem Hier und Jetzt zu verschmelzen. Ein einfältiger, selbstmörderischer Wunsch, der durch Worte gehemmt und durch Denken gelähmt wird.
D er Morgen des ersten Weihnachtstages brach an, als wir von der Rue d’Odessa mit zwei Negerinnen von der Telefongesellschaft heimkamen. Das Feuer war erloschen, und wir alle waren so müde, daß wir mit den Kleidern ins Bett krochen. Die, die ich hatte, die sich den ganzen Abend wie ein reißender Leopard gebärdet hatte, fiel in tiefen Schlaf, als ich sie bestieg. Eine Weile arbeitete ich auf ihr herum, wie man an einem Menschen herumarbeitet, der ertrunken oder mit Gas vergiftet ist. Dann gab ich es auf und schlief selbst tief ein.
Die ganzen Feiertage hindurch bekamen wir morgens, mittags und abends Champagner – den billigsten und besten Champagner. Zum Jahresende sollte ich nach Dijon fahren, wo mir ein unbedeutender Posten als Austauschlehrer für Englisch angeboten worden war, eine dieser französisch-amerikanischen Freundschaftseinrichtungen, durch die das Einvernehmen und der gute Wille zwischen Schwesterrepubliken gefördert werden sollen. Fillmore war von der Aussicht begeisterter als ich – er hatte guten Grund dazu. Für mich bedeutete es nur einen Umzug von einem Fegefeuer in ein anderes. Vor mir lag keine Zukunft, nicht einmal ein Gehalt war mit der Arbeit verbunden. Es wurde von einem erwartet, daß man sich glücklich schätzte, das Vorrecht zu genießen, das Evangelium französisch-amerikanischer Freundschaft verbreiten zu dürfen. Es war eine Aufgabe für den Sohn eines reichen Mannes.
Die Nacht vor meiner Abreise bummelten wir. Gegen Morgen begann es zu schneien. Wir schlenderten von einem Viertel ins andere, um einen letzten Blick auf Paris zu werfen. Beim Gang durch die Rue St. Dominique gerieten wir plötzlich an einen kleinen Platz, und dort stand die Eglise Ste. Clotilde. Menschen gingen zur Messe. Fillmore, der noch ein wenig benebelt war, bekam Lust, ebenfalls zur Messe zu gehen. «Zum Jux!» wie er es ausdrückte. Mir war etwas unbehaglich zumute. Erstens hatte ich noch nie einer Messe beigewohnt, und zweitens sah ich katzenjämmerlich aus und fühlte mich auch so.
Auch Fillmore sah recht mitgenommen aus, sogar noch verkommener als ich. Sein großer Schlapphut saß lächerlich auf seinem Kopf, und sein Mantel war noch voll Sägemehl von dem letzten Lokal, in dem wir gewesen waren. Gleichwohl marschierten wir hinein. Das Schlimmste, was uns passieren konnte, war, hinausgeworfen zu werden.
Ich war so erstaunt über den Anblick, der sich meinen Augen bot, daß ich meine ganze Unsicherheit verlor. Ich brauchte eine kleine Weile, um mich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Ich stolperte hinter Fillmore drein, wobei ich mich an seinem Ärmel festhielt. Ein geisterhaftes, unirdisches Geräusch drang an meine Ohren, eine Art dumpfen Geleiers, das aus den kalten Fliesen drang. Es war ein riesiges, düsteres Grabgewölbe. Leidtragende schlürften ein und aus. Eine Art Vorzimmer zur Unterwelt war es, in dem die Temperatur etwa 55 oder 60 Grad Fahrenheit
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