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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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betrug. Es ertönte keine Musik, außer diesem undefinierbaren Grabgesang, der in dem tiefen Keller hervorgebracht wurde und wie von einer Million im Dunkeln wehklagender Blumenkohlköpfe aufstieg. Menschen in Sterbehemden murmelten mit dem hoffnungslosen, niedergeschlagenen Blick von Bettlern vor sich hin, streckten in einem Zustand der Entrückung die Hand aus und flüsterten eine unverständliche Bitte.
    Ich wußte, daß es so etwas gab; aber man weiß auch, daß es Schlachthäuser und Leichenschauhäuser und Seziersäle gibt. Instinktiv vermeidet man solche Orte. Auf der Straße war ich oft an einem Priester vorübergekommen, der ein Gebetbüchlein in Händen hielt und fleißig seine Texte memorierte. Idiot , sagte ich dann zu mir selber und ließ es dabei bewenden. Auf der Straße begegnet man allen Formen der Geistesgestörtheit, und der Priester war keineswegs die auffallendste. Zweitausend Jahre haben uns gegen die Idiotie der Sache abgestumpft. Aber wenn man plötzlich mitten in dieses Treiben versetzt wird, wenn man die kleine Welt sieht, in welcher der Priester wie ein Wecker funktioniert, dann regen sich in einem leicht ganz andere Gefühle.
    Einen Augenblick begann all dieses Gegeifer und Lippengemurmel beinahe einen Sinn zu bekommen. Etwas spielte sich ab, eine Art stummen Schauspiels, das mich nicht ganz in seinen Bann zu schlagen vermochte, mich aber doch fesselte. Auf der ganzen Welt findet man überall, wo es diese trübbeleuchteten Grabgewölbe gibt, dieses unglaubwürdige Schauspiel – dieselbe elende Temperatur, die gleiche zwielichtige Helle, das gleiche Summen und Brummen. In der gesamten christlichen Welt kriechen schwarz gekleidete Menschen zu gewissen festgesetzten Stunden vor den Altar, wo der Priester mit einem kleinen Buch in der einen Hand und einer Tischglocke oder einem Zerstäuber in der anderen dasteht und ihnen etwas vormurmelt in einer Sprache, die, selbst wenn sie verständlich wäre, keine Spur von Sinn mehr hat. Höchstwahrscheinlich segnet er sie. Segnet das Land, segnet den Herrscher, segnet die Waffen, die Schlachtschiffe, die Munition und die Handgranaten. Kleine Knaben, wie die Engel des Herrn gekleidet, umgeben ihn am Altar und singen mit Altstimme und Sopran. Unschuldsvolle Lämmer. Alle in Chorhemden, geschlechtslos wie der Priester selbst, der gewöhnlich plattfüßig und obendrein kurzsichtig ist. Ein schönes, zwitterhaftes Miaugeschrei. Das Geschlecht zu einer Melodie in J-moll ins Joch gespannt.
    Ich sah es mir an, so gut ich das in dem düsteren Licht konnte. Es war gleichzeitig faszinierend und verblüffend. Auf der ganzen gesitteten Welt, dachte ich bei mir. Auf der ganzen Welt. Wirklich wundervoll. Regen oder Sonnenschein, Hagel, Schnee, Donner, Blitz, Krieg, Hungersnot oder Pestilenz stören sie nicht im geringsten. Immer die gleiche elende Temperatur, der nämliche Hokuspokus, dieselben hohen Schnürstiefel und die Sopran und Alt singenden kleinen Engel des Herrn. Am Ausgang hängt eine kleine Sammelbüchse zur Förderung des himmlischen Werkes. Auf daß Gottes Segen herabregnen kann auf König und Vaterland, auf Schlachtschiffe und Sprengstoffe, Panzer und Flugzeuge. Auf daß der Arbeiter mehr Kraft in seinen Armen habe, mehr Kraft, um Pferde, Kühe und Schafe zu schlachten, mehr Kraft, um Löcher in eiserne Tragbalken zu stanzen, mehr Kraft, um Knöpfe an anderer Leute Hosen zu nähen, mehr Kraft, um Karotten und Nähmaschinen und Automobile zu verkaufen, mehr Kraft, um Insekten zu vertilgen, Ställe zu säubern, Müllkästen zu entleeren und Toiletten zu schrubben, mehr Kraft, um Leitartikel zu schreiben und Untergrundbahn-Fahrkarten zu lochen. Kraft … Kraft. All dieses Lippengemurmel und aufgeblasene Getue, nur um ein wenig Kraft herbeizuflehen!
    Wir gingen von einer Stelle zur anderen und beobachteten das Schauspiel mit jener Klarsichtigkeit, die auf einen die ganze Nacht währenden Bummel folgt. Wir müssen ziemlich aufgefallen sein, wie wir so mit aufgeschlagenen Mantelkrägen herumschlurften, ohne uns ein einziges Mal zu bekreuzigen oder ein einziges Mal die Lippen zu bewegen, außer um eine pietätlose Bemerkung zuflüstern. Vielleicht wäre alles unbemerkt geblieben, wenn nicht Fillmore gerade mitten während des Gottesdienstes hinter dem Altar hätte vorbeigehen wollen. Er suchte den Ausgang und dachte wohl, er könne bei dieser Gelegenheit einen eingehenden Blick auf das Allerheiligste werfen, gewissermaßen eine Nahaufnahme davon mitnehmen. Wir

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