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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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waren gut vorbeigekommen und gingen gerade auf einen Lichtspalt zu, der den Ausgang bezeichnen mußte, als plötzlich ein Geistlicher aus dem Dunkel hervortrat und sich uns in den Weg stellte. Er wollte wissen, wohin wir gingen und was wir hier zu suchen hätten. Wir antworteten recht höflich, daß wir den Ausgang suchten. Wir gebrauchten das englische Wort ‹Exit›, denn wir waren im Augenblick so verblüfft, daß uns der französische Ausdruck für Ausgang nicht einfiel. Ohne ein Wort der Erwiderung ergriff er uns fest am Arm und gab uns, indem er eine Tür öffnete – es war eine Seitentür –, einen Stoß, und wir torkelten in das blendende Tageslicht hinaus. Es geschah so plötzlich und unerwartet, daß wir, bereits auf dem Gehsteig, noch ganz benommen waren. Wir gingen ein paar Schritte, mit den Augen blinzelnd, und dann drehten wir uns beide instinktiv um: der Pfarrer stand noch immer auf den Stufen, bleich wie ein Gespenst, und schimpfte wie der Teufel. Er muß höllisch wütend gewesen sein. Wenn ich es mir später überlegte, konnte ich ihm keinen Vorwurf daraus machen. Aber in jenem Augenblick, als ich ihn in seinem langen Talar und das Käppchen auf dem Kopf dastehen sah, erschien er mir so lächerlich, daß ich in Lachen ausbrach. Ich sah Fillmore an, und er begann gleichfalls zu lachen. Eine ganze Minute standen wir so da und lachten dem armen Kerl gerade ins Gesicht. Er war so verwirrt, nehme ich an, daß er einen Augenblick nicht wußte, was er tun sollte. Plötzlich jedoch schickte er sich an, die Stufen herunterzurennen und drohte uns, als meinte er es ernst, mit der Faust. Als er aus dem Bereich der Kirche heraus war, lief er in vollem Galopp. Inzwischen riet mir ein Selbsterhaltungsinstinkt, uns zu verziehen. Ich ergriff Fillmore am Mantelärmel und rannte los. Er sagte wie ein Idiot: «Nein, nein! Ich will nicht rennen!» – «Los, komm!» rief ich ihm zu. «Wir hauen hier besser ab. Dieser Kerl ist glatt verrückt.» Und wir liefen davon, so rasch uns unsere Beine tragen wollten.
    Auf dem Weg nach Dijon, während wir noch immer über die Geschichte lachten, fiel mir wieder ein ziemlich ähnlicher, spaßiger Vorfall ein, der sich während meines kurzen Aufenthaltes in Florida zugetragen hatte. Es war während der berühmten Hausse, als ich – wie tausend andere – ohne einen Pfennig auf der Straße lag. Bei dem Versuch, mich aus dieser Notlage zu befreien, geriet ich zusammen mit einem Freund richtig in die Patsche. Jacksonville, wo wir für etwa sechs Wochen gestrandet waren, befand sich praktisch in einem Belagerungszustand. Alle Landstreicher der Welt und eine Menge von Burschen, die nie zuvor Landstreicher gewesen waren, schienen nach Jacksonville verschlagen worden zu sein. Die YMCA, die Heilsarmee, die Feuerwehrhäuser und Polizeistationen, die Hotels, die Herbergen, alles war überfüllt. Völlig complet , und überall gab es diesbezügliche Anschläge. Die Einwohner von Jacksonville hatten sich so verhärtet, daß es mir vorkam, als liefen sie in Panzerhemden herum. Wieder war es die alte Geschichte mit dem Essen. Essen und einen Platz, wo man sich hinhauen konnte. Das Essen kam aus dem Hinterland in Waggonladungen: Orangen und Pampelmusen und alle Arten saftiger Nahrungsmittel. Wir pflegten zu den Güterschuppen zu gehen und nach verfaultem Obst zu suchen, aber sogar das war rar.
    Eines Abends schleppte ich in meiner Verzweiflung meinen Freund Joe während des Gottesdienstes in eine Synagoge. Es war eine reformierte Gemeinde, und der Rabbi machte mir einen recht angenehmen Eindruck. Auch die Musik hatte es mir angetan, diese durchdringende Wehklage der Juden. Sobald der Gottesdienst beendet war, ging ich in das Arbeitszimmer des Rabbi und bat ihn um eine Unterredung. Er empfing mich recht freundlich, bis ich ihm mein Anliegen vorgetragen hatte. Dann war er einfach entsetzt. Ich hatte ihn nur um eine Nothilfe für meinen Freund Joe und mich gebeten. Nach der Art und Weise, wie er mich ansah, hätte man glauben mögen, ich hätte ihn gebeten, die Synagoge als Kegelbahn benutzen zu dürfen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, fragte er mich plötzlich rundheraus, ob ich Jude sei oder nicht. Als ich verneinte, schien er völlig aus dem Häuschen. Warum ging ich einen jüdischen Priester um Hilfe an? Ich erwiderte ihm naiv, ich hätte immer mehr Vertrauen zu den Juden als zu den Andersgläubigen gehabt. Ich sagte das bescheiden, als wäre es einer meiner besonderen Fehler. Außerdem

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