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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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meinen Hut, wie mir’s gefällt», sagte Walt. Das war zu einer Zeit, als man noch einen auf seinen Kopf passenden Hut bekommen konnte. Aber die Zeit vergeht. Um heute einen passenden Hut zu bekommen, muß man den elektrischen Stuhl besteigen. Da stülpen sie einem eine Kappe auf den Schädel. Sitzt ein bißchen fest, was? Aber gleichviel, sie paßt.
    Man muß in einem wunderlichen Land wie Frankreich leben, auf dem Meridian wandeln, der die Hemisphären von Leben und Tod scheidet, um zu wissen, was für unberechenbare Aussichten drohen. Der elektrische Leib! Die demokratische Seele! Flut! Heilige Mutter Gottes, was soll dieser Unsinn? Die Erde ist ausgedorrt und rissig. Männer und Frauen kommen zusammen wie Geierschwärme bei einem stinkenden Aas, um sich zu paaren und wieder auseinanderzufliegen. Geier, die wie schwere Steine aus den Wolken fallen. Krallen und Schnäbel – das sind wir! Ein riesiger Verdauungsapparat mit einer Spürnase für totes Fleisch. Vorwärts! Vorwärts ohne Mitleid, ohne Erbarmen, ohne Liebe, ohne Verzeihen. Bitte um keinen Groschen und gib selber keinen! Mehr Schlachtschiffe, mehr Giftgase, mehr Sprengstoffe! Mehr Gonokokken! Mehr Streptokokken! Mehr Bombenflugzeuge! Immer mehr und mehr, bis die ganze beschissene Kiste auseinanderfliegt, und die Erde dazu!
    Als ich aus dem Zug stieg, wußte ich sofort, daß ich einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte. Das Gymnasium lag ein kleines Stück vom Bahnhof entfernt. Ich ging in der frühen Winterdämmerung die Hauptstraße hinunter meinem Bestimmungsort zu. Ein leichter Schnee fiel, die Bäume schimmerten im Frost. Ich kam an ein paar riesigen, leeren Cafés vorüber, die wie traurige Wartesäle aussahen. Stumme, leere Trauer – das war mein Eindruck. Eine trostlose, dreckig-trübselige Stadt, aus der Senf in Wagenladungen, Bottichen, Tonnen, Fässern, Krügen und niedlichen irdenen Töpfchen versandt wird.
    Der erste Blick auf das Gymnasium jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich fühlte mich so unentschlossen, daß ich am Eingang stehenblieb, um zu überlegen, ob ich eintreten sollte oder nicht. Aber da ich kein Geld für die Rückfahrkarte besaß, hatte es nicht viel Zweck, die Frage zu überlegen. Einen Augenblick dachte ich daran, Fillmore ein Telegramm zu senden, aber dann wußte ich nicht, was für eine Entschuldigung ich vorbringen sollte. Es blieb nichts anderes übrig, als mit geschlossenen Augen hineinzumarschieren.
    Es stellte sich heraus, daß Monsieur le Proviseur ausgegangen war – er hatte seinen freien Tag, hieß es. Ein kleiner Buckliger erschien und erbot sich, mich in das Büro von Monsieur le Censeur, des zweiten Bevollmächtigten, zu bringen. Ich ging ein wenig hinter ihm, fasziniert von der grotesken Art, wie er voranhoppelte. Er war ein kleines Ungeheuer, so wie man es in dem Vorraum jeder Kirche in Europa antreffen kann, die nur einigermaßen etwas auf sich hält.
    Das Büro von Monsieur le Censeur war groß und kahl. Ich setzte mich wartend auf einen steifen Stuhl, während der Bucklige loshoppelte, ihn zu suchen. Ich fühlte mich fast wie zu Hause. Die Atmosphäre des Raumes erinnerte mich lebhaft an gewisse Wohltätigkeitsbüros in den Staaten, wo ich oft stundenlang herumsitzen mußte, bis mich ein glattzüngiger Kerl ins Kreuzverhör nahm.
    Plötzlich öffnete sich die Tür, und mit zierlich gesetztem Schritt kam Monsieur le Censeur hereinstolziert. Ich konnte gerade noch ein Kichern unterdrücken. Er hatte genau so einen Schoßrock an, wie ihn Boris immer trug, und über seiner Stirn hing eine Ponyfranse, so etwas wie eine hingeklebte Schmachtlocke, wie sie Smerdjakow gehabt haben mag. Ernst und feierlich, mit einem Luchsauge, verschwendete er keine Begrüßungsworte an mich. Sofort zog er die Liste hervor, auf denen die Namen der Schüler, die Unterrichtsstunden, die Klassen usw., alles in peinlich sauberer Handschrift, verzeichnet waren. Er sagte mir, wieviel Kohlen und Holz mir zustanden, und danach belehrte er mich, daß es mir überlassen sei, über meine Freizeit nach Belieben zu verfügen. Letzteres war das erste Angenehme, das ich von ihm hörte. Es klang so beruhigend, daß ich rasch ein Gebet für Frankreich sprach, für Heer und Marine, das Unterrichtswesen, die bistros , die ganze gottverfluchte Kiste .
    Nach dieser Tändelei läutete er eine kleine Glocke, woraufhin prompt der Bucklige erschien, um mich ins Büro von Monsieur l’Econome zu geleiten. Dort herrschte eine etwas andere

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