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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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ihrem Ohr ab, nur eben eine kleine Spitze vom Ohrläppchen, wo es nicht weh tut. Aber sie ist noch immer spannungslos – ganz Akkumulator und kein Strom. Er fällt auf ihren Schoß und liegt dort, zitternd wie ein Zahnschmerz. Er ist jetzt ganz erhitzt und hilflos. Sein Bauch glänzt wie ein Lackschuh. In seinen Augenhöhlen ein Paar Phantasiewestenknöpfe. «Knöpfe mir die Augen auf, Fanny, ich möchte dich besser sehen!» Fanny trägt ihn zu Bett und tröpfelt ihm ein bißchen heißes Wachs auf die Augen. Sie legt Ringe um seinen Nabel und steckt ein Thermometer in seinen Hintern. Sie bettet ihn zurecht, und er zittert wieder. Plötzlich ist er verschwunden, zur Unsichtbarkeit zusammengeschrumpft. Sie sucht überall nach ihm, in ihren Eingeweiden, überall. Etwas kitzelt sie, sie weiß nicht genau wo. Das Bett ist voll Kröten und Phantasiewestenknöpfen. «Fanny, wo bist du?» Etwas kitzelt sie, sie kann nicht sagen wo. Die Knöpfe fallen aus dem Bett. Die Kröten klettern die Wände hoch. Ein Kitzeln und wieder ein Kitzeln. «Fanny, nimm das Wachs von meinen Augen! Ich will dich ansehen!» Aber Fanny lacht, biegt sich vor Lachen. Es ist etwas in ihr, das kitzelt und kitzelt. Sie wird sterben vor Lachen, wenn sie es nicht findet. «Fanny, der Koffer ist voll von schönen Sachen. Fanny, hörst du nicht?» Fanny lacht, lacht wie ein dicker Wurm. Ihr Bauch ist geschwollen vor Lachen. Ihre Beine werden blau. «O Gott, Morris, etwas kitzelt mich … ich kann nichts dagegen tun!»

S onntag! Verließ die Villa Borghese kurz vor Mittag, gerade als Boris sich anschickte, sich zum Mittagessen hinzusetzen. Ich ging aus Feingefühl weg, denn es tut Boris wirklich weh, mich dort im Atelier mit leerem Magen dasitzen zu sehen. Warum er mich nicht einlädt, mit ihm zusammen zu Mittag zu essen, weiß ich nicht. Er sagte, er könnte es sich nicht leisten, aber das ist keine Entschuldigung. Jedenfalls bin ich taktvoll bei so was. Wenn es ihm peinlich ist, allein in meiner Gegenwart zu essen, so würde es ihm vermutlich noch peinlicher sein, seine Mahlzeit mit mir zu teilen. Es ist nicht meine Sache, die Nase in seine Privatangelegenheiten zu stecken.
    Bei Cronstadts hineingeschaut, und auch sie aßen. Ein junges Hähnchen mit Reis. Gab vor, bereits gegessen zu haben, aber ich hätte dem Baby das Hähnchen aus der Hand reißen mögen. Das ist nicht nur falsche Bescheidenheit, es ist eine Art von Verdrehtheit, glaube ich. Sie fragten mich zweimal, ob ich nicht mithalten wollte. Nein! Nein! Ich wollte nicht einmal eine Tasse Kaffee nach dem Essen annehmen. Ich bin feinfühlig , das bin ich! Beim Hinausgehen werfe ich einen sehnsüchtigen Blick auf die Knochen, die auf dem Teller des Babys liegen – es ist noch Fleisch daran.
    Ziellos herumgeschweift. Ein herrlicher Tag – bis jetzt. Die Rue de Buci ist lebendig und wimmelt von Menschen. Die Bars sind weit offen, und an den Bordsteinen stehen in langen Reihen die Fahrräder. Alle Fleisch- und Gemüsestände haben Hochbetrieb. Arme, beladen mit Gemüse, das in Zeitungspapier eingewickelt ist. Ein schöner katholischer Sonntag – wenigstens am Morgen.
    Um die Mittagszeit stehe ich mit leerem Bauch am Zusammenfluß all dieser krummen Gäßchen, die von Essengeruch geschwängert sind. Mir gegenüber ist das Hôtel de Louisiane. Ein finsteres, altes Gasthaus, das in den guten Zeiten bei den bösen Buben der Rue de Buci bekannt war. Hotels und Essen, und ich wandere umher wie ein Aussätziger, während an meinen Eingeweiden Krebse zwicken. Am Sonntagmorgen haftet den Straßen etwas Fieberhaftes an. Nirgendwo sonst gibt es so etwas, außer vielleicht in East Side oder unten am Chatham Square. Die Rue de l’Echaudé kocht. Die Straßen winden und wenden sich, an jeder Ecke ein neuer Schwarm Leben. Lange Schlangen von Menschen mit Gemüse unter dem Arm, die da und dort mit regem, fröhlichem Appetit heimgehen. Nichts als Essen, Essen, Essen. Es macht einen wahnsinnig.
    Vorbei an der Place de Furstemberg. Sieht nun, zur Mittagszeit, anders aus. Als ich gestern abend vorbeikam, war alles verlassen, öde, gespenstisch. In der Mitte des Platzes vier schwarze Bäume, die noch nicht ausgeschlagen haben. Intellektuelle Bäume, von den Pflastersteinen genährt. Wie T. S. Eliots Verse. Hier, bei Gott, wäre für Marie Laurencins Lesbierinnen der Platz zum Kommunizieren gewesen, hätte sie sie je ins Freie geführt. Très lesbienne ici . Steril, zwitterhaft, verdorrt wie Boris’ Herz.
    In dem

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