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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Durchgangsstraßen werfen kann, welche die alten Verkehrsadern von Paris flankieren. In der Mitte des Hofes gibt es eine Zusammenballung altersschwacher Gebäude, die so verfallen sind, daß sie übereinander zusammengesunken sind und eine Art von Darmverschlingung bilden. Der Boden ist uneben, das Pflaster schlüpfrig von Schleim. Eine Art menschlicher Misthaufen, aus Asche und trockenem Abfall aufgeführt. Die Sonne geht sehr rasch unter. Die Farben erlöschen. Sie wechseln von Purpur zum Rot getrockneten Blutes, von Perlmutt zu nußbraun, von kühlem, totem Grau zur Farbe von Taubenmist. Da und dort steht ein krummes Ungeheuer am Fenster und blinzelt wie eine Eule. Man hört das schrille Gequieke von Kindern mit bleichen Gesichtern und knochigen Gliedern, kleinen Bälgern, denen man die Zangengeburt ansieht. Ein übler Geruch sickert aus dem Gemäuer, der Geruch einer modrigen Matratze, Europa – mittelalterlich, grotesk, monströs: eine Symphonie in b-moll. Unmittelbar gegenüber bietet der Ciné Combat seinem vornehmen Publikum Metropolis .
    Im Weggehen fällt mir ein Buch wieder ein, das ich kürzlich las: «Die Stadt war ein Trümmerhaufen. Leichname, von Schlächtern verstümmelt und von Plünderern ausgezogen, lagen gehäuft in den Straßen. Wölfe drangen aus den Vorstadtvierteln ein, um sie aufzufressen. Die Pest und andere Seuchen krochen herbei, ihnen Gesellschaft zu leisten, und die Engländer rückten mit jedem Tag näher. Derweilen wirbelte auf allen Friedhöfen der Danse macabre um die Gräber …» Paris während der Tage Karls des Wahnsinnigen! Ein reizendes Buch! Erfrischend, appetitanregend. Ich bin noch ganz in seinem Bann. Über das Leben und Treiben während der Renaissance weiß ich wenig, aber Madame Pimpernel, la belle boulangère , und Maître Jehan Crapotte, l’orfèvre , beschäftigen noch immer meine müßigen Gedanken. Rodin nicht zu vergessen, den bösen Genius des Ewigen Juden , der sein Unwesen trieb «bis zu dem Tag, an dem er sich in den Mischling Cecily verliebte und von ihr überlistet wurde». Während ich auf dem Square du Temple saß und über das Treiben der Roßschlächter mit Jean Caboche an der Spitze grübelte, habe ich lange und mit Bedauern auch über das traurige Schicksal Karls des Wahnsinnigen nachgedacht: Ein Halbidiot, der durch die Säle seines Hôtel St. Paul streifte, in die schmutzigsten Lumpen gehüllt, zerfressen von Geschwüren und Ungeziefer, der wie ein räudiger Hund einen Knochen abnagte, wenn man ihn ihm zuwarf. In der Rue des Lions suchte ich nach den Steinen des alten Zwingers, wo er einst seine Lieblingstiere fütterte. Armer Tölpel, es war seine einzige Unterhaltung, abgesehen vom Kartenspiel mit seiner ‹niedrig geborenen Gefährtin› Odette de Champsdivers.
    An einem Sonntagnachmittag, ähnlich diesem, begegnete ich Germaine zum erstenmal. Ich bummelte den Boulevard Beaumarchais hinunter, hundert Francs in der Tasche, die mir meine Frau in aller Eile telegrafisch aus Amerika überwiesen hatte. Ein Hauch von Frühling lag in der Luft, eines giftigen, bösen Frühlings, der aus den Kanalisationsschächten zu dringen schien. Eine Nacht um die andere war ich in dieses Viertel zurückgekommen, angezogen von gewissen aussätzigen Straßen, die ihre düstere Pracht erst dann entfalteten, wenn das Tageslicht versickert war und die Huren ihre Posten zu beziehen begannen. Insbesondere erinnere ich mich an die Rue Pasteur-Wagner, Ecke Rue Amelot, die hinter dem Boulevard verborgen liegt wie eine schlummernde Eidechse. Hier, sozusagen am Flaschenhals, war immer eine Ansammlung von Geiern, die krächzten und mit ihren schmutzigen Flügeln schlugen, mit scharfen Krallen zugriffen und einen in einen Torweg zerrten. Hübsche, raubgierige Teufelinnen, die einem nicht einmal Zeit ließen, die Hose zuzuknöpfen, wenn es vorbei war. Die einen von der Straße weg in ein kleines Zimmer führten, gewöhnlich ein fensterloses Zimmer, und mit hochgeschlagenen Röcken auf dem Bettrand sitzend einen einer raschen Untersuchung unterzogen, auf deinen Piephahn spuckten und ihn sich selber einführten. Während man sich wusch, stand schon eine andere an der Tür und sah, ihr Opfer an der Hand haltend, lässig zu, wie man mit den letzten Griffen seine Toilette beendete.
    Germaine war anders. Es war nichts an ihrer Erscheinung, was mir das verraten hätte. Nichts, was sie von den anderen Dirnen unterschied, die sich jeden Nachmittag und Abend im Café de l’Elephant

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