Wendekreis des Krebses
ihren Alkoholatem zu riechen, diesen Atem, der aus schwachem Kaffee, Cognac, Apéritifs, Pernods und dem ganzen anderen Zeug zusammengesetzt war, das sie zwischendurch kippte, um sich aufzuwärmen und Kraft und Mut zu sammeln; aber das Feuer davon durchdrang sie, glühte dort zwischen ihren Beinen, wo Weiber glühen sollten, und es war jener Stromkreis hergestellt, der einem das Gefühl gab, wieder mit beiden Füßen auf der Erde zu stehen. Wenn sie mit gespreizten Beinen dalag und stöhnte – auch wenn sie so für alle und jeden stöhnte –, war es gut, war es eine Äußerung echten Gefühls. Sie starrte nicht mit leerem Blick zur Decke empor oder zählte die Wanzen auf der Tapete; sie war mit ihren Gedanken bei der Sache, sie sprach über die Dinge, die ein Mann hören will, wenn er eine Frau besteigt. Während Claude – nun, bei Claude regierte immer ein gewisses Zartgefühl, selbst wenn sie mit einem in die Betten stieg. Und ihr Zartgefühl war verletzend. Wer will schon eine zartfühlende Hure? Claude bat einen sogar wegzuschauen, wenn sie überm Bidet hockte. Alles falsch! Ein Mann, wenn er in Leidenschaft entbrannt ist, will Dinge sehen; er will alles sehen, sogar wie sie Wasser lassen. Und wenn es auch sehr gut und sehr schön ist, zu wissen, daß eine Frau ein denkendes Wesen ist, so ist doch Literatur, die von dem kalten Leichnam einer Hure kommt, das letzte, was man im Bett serviert bekommen möchte. Germaine hatte die richtige Auffassung: sie war ungebildet und lüstern, sie widmete sich mit Leib und Seele ihrem Geschäft. Sie war durch und durch eine Hure – und das war ihre Tugend!
O stern kam als ein gefrorener Hase – aber es war hübsch warm im Bett. Heute ist es wieder schön, und in der Dämmerung gleichen die Champs-Élysées einem mit dunkeläugigen Huris bevölkerten Serail unter freiem Himmel. Die Bäume sind in vollem Blätterschmuck und von einem so reinen, üppigen Grün, daß es scheint, als seien sie noch naß und glänzend vom Tau. Vom Palais du Louvre zum Etoile ist es wie ein Musikstück für Klavier. Seit fünf Tagen habe ich die Schreibmaschine nicht angerührt und keinen Blick in ein Buch geworfen: Ebensowenig ging mir ein anderer Gedanke durch den Kopf, als zum American Express zu gehen. Heute morgen war ich um neun Uhr dort, als gerade die Türen geöffnet wurden, und noch einmal um ein Uhr. Keine Post. Um vier Uhr dreißig sause ich aus dem Hotel, entschlossen, in letzter Minute nochmals einen Versuch zu machen. Als ich gerade um die Ecke biege, begegnet mir Walter Fach. Da er mich nicht erkennt und ich ihm nichts zu sagen habe, mache ich keinen Versuch, ihn aufzuhalten. Später, als ich in den Tuilerien die Beine strecke, fällt mir wieder seine Gestalt ein. Er war ein wenig gebeugt, nachdenklich, mit einer Art von ernstem, aber zurückhaltendem Lächeln. Ich frage mich, während ich zu diesem sanft glasierten Himmel emporblicke, an dem sich heute keine schweren Regenwolken ballen, sondern der lächelt wie ein Stück altes Porzellan, ich frage mich, was im Kopf dieses Menschen vorgeht, der vier dicke Bände der Kunstgeschichte übersetzt hat, wenn er diesen wonnevollen Kosmos mit seinen matten Augen wahrnimmt.
Die Champs-Élysées entlang brechen die Einfälle aus mir hervor wie Schweiß. Ich sollte reich genug sein, um eine Sekretärin zu haben, der ich beim Gehen diktieren könnte, denn meine besten Einfälle kommen mir immer, wenn ich nicht an der Schreibmaschine sitze.
Wenn ich die Champs-Élysées entlangschlendere, muß ich an meine wirklich prächtige Gesundheit denken. Wenn ich sage ‹Gesundheit›, so meine ich, um die Wahrheit zu sagen, Optimismus. Meinen unheilbaren Optimismus! Ich stehe noch mit einem Fuß im 19. Jahrhundert. Ich bin ein wenig rückständig wie die meisten Amerikaner. Carl findet ihn abscheulich, diesen Optimismus. «Ich brauche nur etwas von einer Mahlzeit zu sagen», meinte er, «dann strahlst du!» Das stimmt. Allein schon der Gedanke an eine Mahlzeit – eine weitere Mahlzeit – verjüngt mich. Eine Mahlzeit! Das bedeutet etwas, um weiterzumachen – ein paar solide Arbeitsstunden, möglicherweise eine Erektion. Ich leugne es nicht. Ich besitze Gesundheit, gute, solide, animalische Gesundheit. Das einzige, was zwischen mir und der Zukunft steht, ist eine Mahlzeit, eine weitere Mahlzeit.
Was Carl betrifft, so ist er augenblicklich nicht er selbst. Er ist durcheinander, seine Nerven sind in Unordnung. Er behauptet, krank zu sein, und ich
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