Wendekreis des Krebses
kennt jetzt alle seine Kniffe, und wenn sich daher Marlowe plötzlich an die Schläfen greift und seine Aufführung beginnt, gibt ihm Carl einen Tritt in den Hintern und sagt: «Hör auf damit, du Schwindler! Mit mir kannst du das nicht machen!»
Ob es nun ein schlauer Racheakt ist oder nicht, weiß ich nicht, aber jedenfalls zahlt Marlowe es Carl in barer Münze heim. Indem er sich vertraulich zu uns beugt, berichtet er mit heiserer, krächzender Stimme ein Gerücht, das ihm angeblich auf seiner Wanderung von einer Bar zur anderen zu Ohren gekommen ist.
Carl blickt erschrocken hoch. Er ist blaß um die Nase. Marlowe wiederholt die Geschichte mit Abwandlungen. Jedesmal macht Carl ein wenig mehr schlapp. «Aber das ist unmöglich!» stößt er schließlich hervor. «Nein, durchaus nicht!» krächzt Marlowe. «Deine Stellung bist du los. Ich weiß es sicher.» Carl sieht mich verzweifelt an. «Scheißt er mich an, der Saukerl?» flüstert er mir ins Ohr. Und dann laut: «Was soll ich jetzt machen? Ich werde nie eine andere Stellung finden. Es hat ein Jahr gedauert, diese aufzutun.»
Das ist offenbar alles, was Marlowe hat hören wollen. Endlich hat er jemanden gefunden, dem es noch schlechter geht als ihm. «Es sind harte Zeiten!» krächzt er, und sein knochiger Schädel glänzt in kaltem, elektrischem Feuer.
Beim Verlassen des Dôme erklärt Marlowe unter Aufstoßen, daß er nach San Francisco zurückkehren muß. Er scheint nun ehrlich gerührt über Carls Hilflosigkeit. Er schlägt vor, Carl und ich sollten während seiner Abwesenheit die Zeitschrift übernehmen. «Dir kann ich vertrauen, Carl», sagt er. Und dann bekommt er plötzlich einen Anfall, diesmal einen echten. Er bricht beinahe im Rinnstein zusammen. Wir schleppen ihn in ein bistro am Boulevard Edgar-Quinet und setzen ihn hin. Diesmal hat es ihn wirklich erwischt – ein wahnsinniges Kopfweh, das ihn jammern und grunzen und ihn sich hin- und herwerfen läßt wie ein betäubtes Tier, das eins mit dem Vorschlaghammer bezogen hat. Wir gießen ihm zwei Fernet-Brancas in die Kehle, strecken ihn auf der Bank aus und bedecken ihm die Augen mit seinem Halstuch. Stöhnend liegt er da. Nach einer kleinen Weile hören wir ihn schnarchen.
«Wie steht es mit seinem Vorschlag?» sagt Carl. «Sollen wir ihn annehmen? Er sagte, er wolle mir tausend Francs geben, wenn er zurückkommt. Ich weiß, er wird es nicht tun, aber wie steht’s damit?» Er blickt auf den auf der Bank ausgestreckten Marlowe, hebt das Halstuch von seinen Augen und legt es wieder zurück. Plötzlich leuchtet ein verschlagenes Grinsen in seinem Gesicht auf. «Paß auf, Joe», sagt er, indem er mir winkt, näher heranzukommen, «wir werden ihn damit hochnehmen. Wir übernehmen seine lausige Zeitschrift und drehen ihm ein richtiges Ding.»
«Was meinst du damit?»
«Wir schmeißen alle anderen Beiträge raus und füllen es mit unserem eigenen Mist – das mein ich damit!»
«Tja, aber was für einem Mist?»
«Jedem beliebigen, er kann nichts dagegen machen. Wir besorgen es ihm ganz und richtig. Eine gute Nummer, und danach ist die Zeitschrift erledigt. Machst du mit, Joe?»
Grinsend und kichernd stellen wir Marlowe auf die Beine und schleppen ihn in Carls Zimmer. Als wir das Licht andrehen, liegt eine Frau im Bett, die auf Carl wartet. «Die habe ich ganz vergessen», sagt Carl. Wir schmeißen die Pritsche hinaus und wälzen Marlowe ins Bett. Eine Minute später klopft es an der Tür. Es ist Van Norden. Er ist völlig außer sich. Hat seine Gebißplatte, wie er glaubt, auf dem Bal Nègre verloren. Trotzdem legen wir uns alle vier zu Bett. Marlowe stinkt wie ein geräucherter Fisch.
Am Morgen gehen Marlowe und Van Norden weg, um das Gebiß zu suchen. Marlowe flennt. Er bildet sich ein, es seien seine Zähne.
E s ist meine letzte Mahlzeit im Hause des Dramatikers. Sie haben soeben ein neues Klavier gemietet, einen Konzertflügel. Ich begegne Sylvester, wie er gerade mit einem Gummibaum in den Armen aus der Blumenhandlung kommt. Er fragt mich, ob ich ihn solange halten wolle, während er Zigarren holt. Um eine freie Mahlzeit nach der anderen habe ich mich gebracht, die ich so vorsichtig eingefädelt hatte. Die Ehemänner wenden sich einer nach dem anderen gegen mich, oder die Weiber. Während ich mit dem Gummibaum im Arm dahinwandle, fällt mir die Nacht vor ein paar Monaten ein, in der mir dieser Einfall zum erstenmal kam.
Ich saß auf einer Bank unweit vom Coupole und fingerte an dem Ehering
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